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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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die tiefsten Keller des Palasts zu der großen Zisterne unter der Küche. Sie sei noch nicht in der Lage zu kämpfen, erklärte er ihr, und ihr Tod würde niemandem nützen. Wahrscheinlich würde sie ihrer Gefährtinnentruppe nur im Weg stehen, die sich natürlich verpflichtet fühlten, sie zu beschützen. Das einzige, was sie tun könnte, meinte Seb schließlich, sei am Leben zu bleiben, damit die Stadt nach der Schlacht eine Königin hatte. Ihre einzige Pflicht an diesem Tag hieß: überleben.
    Nur widerstrebend willigte Inanna ein. Den ganzen furchtbaren Tag lang, an dem die Nomaden über die Stadtmauern wimmelten, plünderten, vergewaltigten und schließlich die ganze Stadt in Brand steckten, lag Inanna in der Dunkelheit am Grund der Zisterne auf einem schmalen Vorsprung unmittelbar über dem Wasser. Seb hockte neben ihr und war bereit, sofort den Kampf aufzunehmen, falls jemand dieses Versteck entdecken sollte. Aber er brauchte ihr Leben nicht zu verteidigen, denn bald schon stand der ganze Palast in Flammen, und nichts und niemand hätte durch das Flammenmeer zu ihnen vordringen können.
    Sogar am Grund der Zisterne war die Hitze noch unerträglich. Während das Feuer über ihnen tobte, drang viel Rauch zu den beiden hinunter, und Seb mußte mehrmals sein und Inannas Gewand nässen, damit sie kein Feuer fingen. Wenn es hier keine unterirdischen Tunnel gegeben hätte, durch die ständig Frischluft hereinströmte, wären die beiden wahrscheinlich erstickt.
    Bald wußten sie nicht mehr, ob es Tag oder Nacht war. Manchmal fielen brennende Teile zischend in das Wasser neben ihnen. Und einmal hörten sie ein gewaltiges Getöse, als die Balken, Säulen und Mauern des Palasts krachend zusammenfielen. Sie sprachen nur wenig, aber diese schwere Prüfung brachte sie einander so nah, wie es sonst nichts vermocht hätte Als Seb Inanna schließlich wieder nach oben trug, war ihnen beiden bewußt, daß sie von nun unzertrennbar zueinander gehörten, falls sie den Nomadenansturm und die Feuersbrunst überleben sollten.
     

XI
    Die Stadt, in die Seb und Inanna zurückkehrten, war kaum mehr als ein Haufen rauchender Ruinen. Die unerhörte Hitze hatte sogar die Knochen der Toten angegriffen, so daß Seb nie mehr erfahren konnte, was aus Sellaki und dem Rest seiner Familie geworden war. Und Inanna erfuhr nie, wie tapfer und mutig die Gefährtinnen ihre letzte Schlacht geschlagen hatten. Es war so, als sei die Vergangenheit mit einem Schlag nicht mehr da, so daß man ganz von vorn beginnen konnte.
    Die Nomaden hatten alles mitgenommen. Nicht nur das Gold, sondern auch die Werkzeuge, die kleineren Statuen und sogar die Fliesen von den Wänden und Böden. Was sie nicht davontragen konnten, hatten sie zerstört. Kostbare Porzellanstücke lagen zerschmettert auf den Feldern vor dem Haupttor. Erlesene Gewänder waren in Fetzen zerrissen. Stoffballen und ganze Körbe voller Saatgut hatten sie in den Fluß geworfen. Ochsen faulten dort, wo die Nomaden sie abgeschlachtet hatten. Aber wie durch ein Wunder waren die Schwarzköpfigen nun nicht mehr da.
    Als Seb und Inanna wieder oben waren, war nicht ein einziges schwarzes Zelt in der Ebene auszumachen. Später dachte Inanna gern, daß dieser wundersame Abzug zu einem nicht unbeträchtlichen Teil ihr Verdienst war; denn ohne Pulal als Anführer war der Verbund der Schwarzköpfigen wahrscheinlich rasch wieder zerfallen. Stammesrivalitäten und Gruppengezänk hatten die Oberhand gewonnen, und so waren die Nomaden in kleinen Haufen und ohne größere Ordnung in die Berge zurückgezogen. In Wahrheit aber wußte niemand genau zu sagen, warum die Schwarzköpfigen nach ihrem Sieg abgezogen waren. Nur der Umstand blieb bestehen, daß sie nicht mehr da waren.
    In den nächsten Monaten lebten die wenigen Überlebenden in ständiger Furcht, die Nomaden könnten wieder in die Ebene strömen. Woher sollten sie auch wissen, daß es noch drei Generationen dauern würde, bis die Schwarzköpfigen sich wieder zur Invasion des Deltalandes vereinten; daß erst ihre Enkel und Enkelinnen, aber nicht mehr sie selbst die Stadt verteidigten?
    Als die Zeit verstrich und sich kein neuer Nomadentrupp gezeigt hatte, kehrte rasch das Alltagsleben wieder ein. Natürlich würde die neue Stadt nicht mehr so groß werden wie die alte, aber niemand hegte einen Zweifel daran, daß sie fortbestehen würde. Obwohl kein Gold mehr da war, um damit den Tempel zu schmücken, nahmen die Menschen das Überleben der Königin als gutes

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