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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser
Autoren: André Kubiczek
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Henry das eiskalte Bier heraus, auch für sich selbst hatte er eine Flasche dabei. Er ließ sich neben Henry nieder, sie prosteten einander zu und tranken. Dann bot ihm der Wirt eine Zigarette an, fragte, woher er komme und was er hier mache, und Henry erzählte, dass er in Berlin lebe, aber hier geboren sei.
    Neben dem Flachbau stand ein zehn Meter hoher Turm mit einer Funkantenne auf dem Dach, auf der anderen Seite der Piste erkannte Henry eine Wellblechhalle, deren Front an die zwanzig Meter messen mochte. Neben ihr stand ein signalroter Container mit zwei Schlauchanschlüssen.
    Henry fragte, was es mit dem Container auf sich habe.
    Das sei ein Lagertankcontainer, erklärte der Wirt, er enthalte das Flugbenzin.
    Gegen acht fragte der Wirt, ob Henry Hunger habe. Die Männer mit den Modellflugzeugen und die Kinder waren längst gegangen, stattdessen waren Paare gekommen, im mittleren Alter, durchschnittlich gekleidet, und hatten an den Plastiktischen vor der Gaststätte Platz genommen. Die Männer tranken Bier, die Frauen Sekt oder Weißweinschorle, und nur selten wechselten sie ein paar Worte, aber ihr Schweigen schien alles andere als kalt oder feindlich, ihr Schweigen war einvernehmlich. Henry kam es vor, als warteten sie auf den Sonnenuntergang, und er fragte den Wirt, was er an Essen dahabe.
    Eigentlich gar nichts, sagte der Wirt, aber er könne ihm eine Bockwurst heiß machen.
    So aßen sie Bockwurst, tranken Bier bis in den Sonnenuntergang und schwiegen, wie die anderen Gäste auf der Terrasse der Flugplatzkantine.
    Bevor das letzte Licht des Tages hinter der Hügelkette jenseits des Flugfeldes verschwand, verabschiedete sich Henry vom Wirt, und er winkte auch den schweigsamen Paaren vage zu, deren Mittelklassewagen am Zaun parkten, wo auch Henrys Rad angeschlossen war.
    Es war dunkel, als er in seinem Elternhaus ankam, noch bevor er den Schlüssel im Schloss gedreht hatte, öffnete seine Mutter die Tür und fragte sorgenvollen Blickes, wo er gewesen sei.
    Henry sagte es ihr, und die Falten des Kummers um ihre Augen wühlten augenblicklich das Berliner Ungemach wieder in ihm auf, das er über den Nachmittag vergessen hatte.
    Am nächsten Morgen stand Henry um acht auf. Er musste keinen Wecker stellen, es war Unruhe, die ihn aus dem Bett trieb. Er trank einen Kaffee im Stehen, die Reisetasche zwischen den Füßen. Der Vater war im Stall oder auf dem Feld, seine Mutter sah ihm schweigend zu.
    Das Haus an der Ost-West-Magistrale wirkte genauso wie vor zwei Tagen, als er es verlassen hatte, doch in seinem Inneren war etwas geschehen: Der Wohnungsschlüssel passte nicht mehr. Henry stand im Treppenflur und versuchte, ihn ins Schloss zu bekommen, wieder und wieder, obwohl er längst wusste, dass seine Befürchtung Wahrheit geworden war. Als er von oben Schritte kommen hörte, gab er auf und stieg hinunter in den Keller: Sein Verschlag stand offen, der Bügel des Vorhängeschlosses war mit einem Bolzenschneider durchtrennt worden, die Kisten und das andere Gerümpel fehlten. Im Briefkasten lag nichts außer Werbung, im Hof fand er immerhin sein Fahrrad im Gestrüpp. Er ging zu den Mülltonnen, öffnete sie, guckte hinein: nichts Außergewöhnliches. Neben dem Altpapiercontainer sah er eine Pappkiste. Sie schien aufgeweicht, obwohl es seit Tagen nicht geregnet hatte. Henry klappte sie auf: Auch das Foto, das obenauf lag, war feucht. Es lag auf einem Stapel alter Computerzeitschriften, die wegzuwerfen er immer aufgeschoben hatte. Aufgenommen worden war es auf dem Balkon, und es zeigte Johanna im Alter von vielleicht zwei Jahren, wie sie braun gebrannt in einem roten, mit Wasser gefüllten Planschbecken kniete und strahlend eine Plastikgießkanne in die Höhe hielt, aus der sich ein Strahl Wasser ergoss.
    Henry legte das Foto zu den Geldscheinen in seinem Pass, dann nahm er die Reisetasche und winkte sich auf der Magistrale ein Taxi heran.

27.
    Henry lehnte das Rad seiner Mutter an den Zaun. Sie hatte wortlos den Kopf geschüttelt, als er am Nachmittag in ihrer Küche aufgetaucht war.
    Die Luft war erfüllt vom surrenden Motorengeräusch der Modellflugzeuge. Die Kinder, die um die Männer mit den Fernsteuerungen herumstanden, applaudierten, wenn ein Looping gelang.
    Der Wirt brachte Henry ein Bier auf die Terrasse und hatte auch eines für sich selbst dabei. Henry zeigte ihm das Foto, das er früher am Tag in der aufgeweichten
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