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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser
Autoren: André Kubiczek
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Küchenfenster auf den Hof, wo der Efeu die Hinterhausfront überwucherte: Es war Frühling, der Sommer stand vor der Tür.
    Er wechselte die Bettwäsche, lüftete das Schlafzimmer und nahm sich dann vor zu schlafen, bis der Kater verflogen war.
    Am frühen Nachmittag riss ihn das Klingeln des Telefons aus dem Schlaf. Am Apparat war Cynthia, Peters Frau. Es war lange her, dass Henry mit ihr gesprochen hatte. Wollte er Peter kontaktieren, rief er stets auf dessen Handy an.
    Cynthia sagte, sie sei beunruhigt, klang aber nicht danach. »Peter ist gestern nicht nach Hause gekommen.«
    Â»Wieso?«
    Â»Ich kann ihn nicht erreichen. – Nirgends. Ihr habt euch doch gestern auf ein Bier getroffen?«
    Â»Auf mehrere.«
    Â»Und dann?«
    Â»Dann sind wir irgendwann wieder gegangen.« Was so nicht ganz stimmte. Als er ging, lag Peter am Boden der Bar – bewusstlos oder nicht, blutend oder nicht, das war nicht zu erkennen gewesen, da Peters Gesicht gen Boden zeigte – nach einer harten Rechten Henrys, die Peter am Jochbein getroffen hatte.
    Â»Und wann war das?«, fragte Cynthia.
    Â»Gegen eins, halb zwei.«
    Henry lauschte, ob er ein Schluchzen hörte oder ein anderes Geräusch, das etwas über ihren Gefühlszustand aussagte, aber er hörte nicht mal ihren Atem.
    Â»Hast du es in der Kanzlei versucht?«
    Â»Was denkst denn du«, sagte Cynthia. Sie schwieg abermals, um dann geräuschvoll Luft zu holen, als brauche sie besonders viel Sauerstoff für die nächste Frage: »Meinst du, er hat eine Geliebte?«
    Â»Keine Ahnung«, sagte Henry, um einen gleichgültigen Ton bemüht, obwohl ihm wieder einfiel, was Peter ihm gestern gleich zweimal erzählt hatte, zuerst, um anzugeben, dann, um ihn zu provozieren: dass er eine Affäre mit einer Frau habe, die alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter war.
    Â»Bist du dir sicher?« Cynthias reaktionäre Vorstellung vom Glück bedurfte dreier Bestandteile: eines erfolgreichen Mannes, einer Eigentumswohnung mit Dachterrasse sowie einer Ehe ohne Komplikationen. Sie war eine akademisch gebildete Hausfrau, die ihre Berufung darin sah, ihrem Gatten den Rücken frei zu halten. Komischerweise wollte sie keine Kinder, Peter dagegen schon, wie er gestern gesagt hatte, als er noch halbwegs nüchtern gewesen war.
    Â»Ich melde mich, wenn ich was höre«, sagte Henry.
    Â»Sein Handy ist aus.«
    Â»Ich muss dann mal …«
    Â»Schon gut«, sagte Cynthia.
    Â»â€¦ zurück an den Schreibtisch«, sagte Henry, aber sie hatte bereits aufgelegt.
    Am späten Nachmittag waren die Kopfschmerzen verflogen. Henry trat auf den Balkon, um durchzuatmen: Trotz des dröhnenden Feierabendverkehrs roch die Luft frisch, nach Wald beinahe. In den Blumenkästen blühten Narzissen, obwohl sich seit zwei Jahren niemand mehr um die Pflanzen kümmerte. Verschrumpelt und dreckig lag ein aufblasbares Planschbecken in der Ecke, eine ausgeblichene Windmühle war mit Kabelbindern an der Brüstung befestigt, ohne sich in der leichten Frühsommerbrise zu drehen.
    Henry wäre lieber in der Wohnung geblieben, doch er musste raus zum Einkaufen. Er wunderte sich, dass der Geldautomat ihm noch immer Scheine auswarf. Im billigsten Supermarkt der Gegend, dessen Käse nach Plastik schmeckte, füllte er seinen Korb. Noch vor vier, fünf Jahren hätte er nicht im Traum daran gedacht, sich einmal von solchem Abfall ernähren zu müssen. Er war zwar nicht reich gewesen damals, aber er hatte deutlich mehr Geld besessen, als er zum täglichen, guten Leben benötigte. Geld, das anzulegen ihn sein Bankberater gedrängt hatte, in hundertprozentig sichere Titel: eine Multimedia AG, einen Zwischenhändler für Computerperipherie, eine Biotechfirma, deren Prospekt ein Mittel gegen Krebs annoncierte. Aber die Kurse waren schon viel zu hoch gewesen, als er einstieg. Er kam zu spät an die Börse, zusammen mit den Angestellten des öffentlichen Dienstes, den Facharbeitern und den Beamten. Er kam, als das Fernsehen das Spekulieren zum Trend erhob und Mitglieder der Regierung empfahlen, sich mittels Aktienrenditen die niedrigen Renten der Zukunft aufzufüllen.
    Als es dann bergab ging, und zwar rapide, verpasste Henry den Ausstieg. Er beobachtete, wie sein Geld den Bach runterging, aber er tat nichts. Er war unfähig zu verkaufen, als er noch mit einem blauen Auge davongekommen wäre. Die
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