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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser
Autoren: André Kubiczek
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seien oder Kuratoren. Er ließ es bleiben. Sie sollte denken, er habe die Eröffnung vergessen.
    Stattdessen rief Bettina ihn an, ihre Stimme klang eine Nuance sachlicher als sonst. Seit seinem Besuch hatten sie nur noch einmal miteinander telefoniert, sich ansonsten per E-Mail verständigt, und auch nur dann, wenn es um Organisatorisches ging, etwa um den jeweiligen Anteil an der Betriebskostennachzahlung.
    Sie habe seine Kolumne gelesen und gratuliere ihm, sagte Bettina, nachdem sie die gegenseitige Begrüßung etwas unsicher hinter sich gebracht hatten.
    Â»Tatsächlich?« Henry fahndete nach einem ironischen Unterton.
    Der abstrakte Maler sei mächtig verstimmt, die Leitung des Hauses sowieso. Ein zweiter Besuch Henrys komme wohl eher nicht in Betracht. Sie dagegen finde die Beschreibungen gelungen, sehr sogar.
    Â»Danke«, sagte Henry.
    Â»Nur …« Bettina stockte.
    Â»Ja?«
    Etwas Warmes kehrte mit dem letzten Wort in ihre Stimme ein, etwas, das nach Beistand verlangte, möglicherweise nach Schutz. Henry wurde heiß, das Ohr am Hörer begann zu schmerzen. Etwas, das einem Weinkrampf vorangehen, ein anderes Mal aber zu einer Liebeserklärung führen konnte.
    Â»Nur …«
    Â»Na sag schon!«
    Nur sei das eben auch ihre Zukunft, die er in seinem Artikel beschreibe. Eine mögliche immerhin.
    Wie sie das meine, wollte Henry wissen.
    Das mit der Erfolglosigkeit. Das mit dem Geld. Nie mit dem etwas verdienen zu können, was einem wichtig sei. Nicht zu wissen, ob man einen völlig falschen Weg eingeschlagen oder doch zumindest in dem, was man tue, die falschen Mittel gewählt habe.
    Mit diesen Zweifeln hatte Henry nicht gerechnet.
    Anstatt auf raumfüllende Installationen zu setzen, wie sie es tue – und sie tue das durchaus mit Gründen, die in ihrer Interpretation der Kunstgeschichte lägen –, müsste sie es beispielsweise auch einmal mit Malerei probieren, wie Oleg. Der besseren Verkaufschancen wegen.
    Â»Oleg?«
    Der Maler, den er in seinem Artikel karikiert habe, völlig zu Recht, der mit den Samthosen. Der dennoch hin und wieder etwas verkaufen könne, ganz ohne Galerie, an den Apotheker seines Heimatortes, an Anwaltskanzleien, an Witwen, deren Männer hohe Positionen in der Automobilbranche gehabt hatten, und der davon weniger schlecht lebe, als Henrys Polemik es suggeriere.
    Aber das sei doch keine Kunst. Bestenfalls Handwerk, das sich durch die Abstraktion interessant mache. Hinterglasmalerei auf Leinwand, wie man sie in jedem Volkshochschulkurs lernen könne.
    Â»Eben.«
    Sie schwiegen. Henry hörte, wie sich Bettina in ein Taschentuch schneuzte.
    Â»Du bist ein bisschen zu jung für solche Zweifel«, sagte er, »du hast alle Möglichkeiten der Welt.«
    Â»Meinst du?«
    Â»Ja, sicher«, sagte Henry und schämte sich für die abgedroschene Floskel.

5.
    Â»Hat sich Peter bei dir gemeldet?« Wieder war es Cynthia, deren Anruf Henry aus dem Schlaf riss.
    Â»Nein, hat er nicht.«
    Das Schweigen auf der anderen Seite machte Henry den pochenden Kopfschmerz bewusst.
    Â»Das kann doch alles nicht wahr sein«, platzte Cynthia heraus.
    Â»Warst du bei der Polizei?«
    Â»Wozu?«
    Â»Du scheinst ihn zu vermissen. Also: Gib eine Vermisstenanzeige auf. Du kennst das doch aus dem Fernsehen.«
    Â»Und wenn er dann nur bei irgendeiner seiner Schlampen war? – Wie steh ich denn dann da?«
    Â»Okay, Cynthia. Ich sag dazu jetzt nichts. – Wenn ich was von ihm höre, meld ich mich.«
    Â»Na gut.«
    Â»Eines noch.« Henry wusste nicht, wie er beginnen sollte. »Hast du was von Johanna gehört?«
    Â»Kein Kommentar«, sagte Cynthia, »tut mir leid, mein Lieber.« Sie legte auf.
    Den gesamten Sommer hindurch konzipierte Bettina den Katalog, der ihre bisherigen Arbeiten dokumentieren sollte, und auch Henry war zu beschäftigt, um Urlaub zu machen, denn er schrieb an einem Buch, das zu verfassen er keineswegs vorgehabt hatte.
    Der Programmleiter eines bekannten Verlages hatte ihn in einer informellen E-Mail gefragt, ob er Interesse an einem gemeinsamen Projekt habe. Als Thema, das natürlich spezifiziert werden müsse, stelle er sich die aktuelle deutsche Gegenwart vor, mit einem Blick betrachtet ähnlich jenem, den Henry in seinen meisterhaften Kolumnen auf den Berliner Alltag werfe, etwas ausführlicher erzählt, durchaus autobiografisch, wenn er
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