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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser
Autoren: André Kubiczek
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Spielcasino, vor dem nachts Limousinen mit auswärtigen Kennzeichen parkten, es gab ein Steakhouse am Bahnhof, und gegenüber, am anderen Flussufer, stand ein rot verklinkertes Gebäude, das gleich zwei italienische Restaurants beherbergte. Das eine war eine bacchantische Gipshölle samt Steinofen im Gastraum, die Henry tagsüber manchmal aufsuchte, um sich bei einer Suppe aufzuwärmen.
    Das andere Restaurant hieß »Amarcord«. Es öffnete erst am Abend, hatte weiß verputzte Wände, an denen gerahmte Szenen aus italienischen Filmen hingen, Fellini, die Neorealisten. Die Tische bestanden aus dunklem Tropenholz, die Kellner trugen lange schwarze Schürzen und bedienten mit vornehmer Zurückhaltung das Bürgertum der Kurstadt.
    Hierher kamen Henry und Bettina jeden Abend, nur am ersten Tag hatte sich Henry überreden lassen, zusammen mit den anderen Stipendiaten an einer langen Tafel in der Villa zu essen.
    Nachdem die Teller abgeräumt waren, machten es sich die Künstler bequem. Sie holten ihre Rauchwaren hervor, sie rückten die Gläser zurecht, und der abstrakte Ölmaler aus Süddeutschland öffnete den obersten Knopf seiner Samthose.
    Die Gespräche drehten sich um das Leben in der Villa. Man verdächtigte den Hausmeister, Übertretungen der Hausordnung ans Ministerium zu melden, und man verdächtigte die Putzfrau, Geld zu stehlen. Der abstrakte Maler bezeichnete den Leitungsstil der Direktorin als faschistisch. Die infantile Keramikerin berichtete von Geräuschen, die sie nachts höre und die nicht von dieser Welt seien. Jemand lachte, ein anderer tippte auf einen Marder, der in den Wandzwischenräumen hause.
    Man merkte, dass die Stipendiaten bereits bereits mehrere Monate zusammenlebten, abgeschottet wie auf einer Intensivstation, künstlich beatmet und künstlich ernährt. Nach drei Stunden hielt es Henry nicht mehr aus, stand auf, winkte in die Runde und ging aufs Zimmer. Als Bettina kam, lag er schon im Bett. Sie legte sich zu ihm, schmiegte sich an und schlief sofort ein. Draußen pfiff der Winterwind, durch die Heizungsrohre rauschte das warme Wasser, und in der Zwischendecke tippelte der Marder herum. Es hätte gemütlich sein können, aber es war lediglich eng.
    Eine Woche hatte Henry zu bleiben versprochen. Es wurde eine Woche, in der er frierend die Fußgängerzone auf und ab lief, in der er zwei Spelunken kennenlernte, die schon morgens geöffnet hatten, und in denen er statt Kaffee Grog trank. Er gewöhnte sich an, mittags Billard zu spielen, argwöhnisch beobachtet von den jugendlichen Schulschwänzern an den Geldspielautomaten. Nachmittags dann lungerte er in der beheizten Trinkhalle herum und las Zeitung. Gegen achtzehn Uhr holte er Bettina aus dem Atelier. Henry wusste genau, dass sie keine Lust hatte, jeden Abend ins »Amarcord« zu gehen, aber er wusste auch, dass sie es nicht wagte, seine Einladungen auszuschlagen.
    Weil sich für den Abend die Staatssekretärin des Kultusministeriums angekündigt hatte, fuhr Henry einen Tag früher als geplant nach Berlin zurück. Seit dem Morgen richteten Mitarbeiter einer Cateringfirma ein Büfett in der Eingangshalle her, eine Putztruppe polierte die Gänge, Lieferanten brachten Blumen und Wein.
    Bettina begleitete ihn am Nachmittag zum Bahnhof. Sie schien in Gedanken versunken, reagierte verzögert, wenn er sie ansprach. Henry nahm an, dass ihre Abwesenheit mit der Ausstellung zusammenhing, die in der nächsten Woche eröffnet werden sollte.
    Seinen ganzen Ärger über den Besuch legte Henry in einen bösartigen Text, den er noch während der Zugfahrt auf seinem Notebook skizzierte. Er handelte vom System der Kultursubventionierung, das Henry mit der Subventionierung der Steinkohleförderung verglich. Er handelte von staatlich ausgehaltenen Rebellen, von allgemeiner Weltfremdheit und der Unfähigkeit, als erwachsener Mensch sein eigenes Geld zu verdienen. Und sei es mit Kunst. Er machte die aggressiv formulierten Thesen am Beispiel der Villa fest, an ihren künstlerischen Insassen und dem neurotischen Personal, das sie betreute, ohne jedoch Namen zu nennen.
    Der Artikel erschien exakt eine Woche nach Bettinas Ausstellungseröffnung auf den Seiten des überregionalen Feuilletons.
    Henry hatte überlegt, Bettina am Tag der Vernissage anzurufen, ihr zu gratulieren, sich nach Reaktionen zu erkundigen, ob Galeristen da gewesen
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