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Der versoffene Papagei

Der versoffene Papagei

Titel: Der versoffene Papagei
Autoren: Alexander Borell
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Miss Simpsons gellendes Geschrei riß mich jäh aus dem Schlaf.
    »Telefon! — Hui! Hui! — Telefon! Telefon!«
    Diesen hysterischen Ausbruch bekam sie jedesmal , wenn nebenan in meinem Büro das Telefon klingelte.
    Obwohl wir erst den 18. Mai schrieben, war der Vormittag heiß, fast schwül gewesen. Eine Menge Lauferei, ein ausgiebiges Mittagessen und ein paar Gläser Bier hatten mich einfach umgehauen.
    Ich wälzte mich von der Couch, torkelte schlaftrunken in mein Büro hinüber, nahm den Hörer ab und meldete mich.
    Es war eine Frauenstimme.
    »Spring Street. Ich verbinde!«
    Es knackte einige Male, und dann hörte ich Alan Delano Brays sonore Stimme. Bray war der Leiter der Mordabteilung des FBI in Los Angeles.
    »He, Tonio«, sagte er, »ich habe Sie heute vormittag schon ein paarmal angerufen. Kennen Sie Arthur C. Murchison ?«
    »Den Schauspieler?«
    »Ja.«
    »Nicht persönlich. Aber das, was ich bisher von ihm gesehen und gelesen habe, reicht mir zur Genüge.«
    »Sie könnten ihm vielleicht ein paar Dollar aus der Nase ziehen.«
    »Das macht ihn mir schon etwas sympathischer«, gab ich zu. »Was hätte ich dafür zu tun?«
    »Er war heute morgen bei mir«, sagte Bray . »Er hat mir fast eine Stunde lang die Ohren vollgequatscht. Ein Hysteriker, der offensichtlich an einer fixen Idee leidet. Er bildet sich ein, man wolle ihn umbringen. Eine Sache jedenfalls, in der wir vorerst gar nichts tun können. Und nichts tun wollen. Ich habe ihm gesagt, Sie würden ihn... zum Teufel, was ist denn das für ein Geschrei bei Ihnen?«
    Es war Miss Simpson, die mit ihrer schrillen, durchdringenden Stimme unentwegt »Mörder! Mörder!« schrie.
    »Kein Mord und keine Arbeit für Sie, Mister Bray «, sagte ich. »Das ist nur Miss Simpson. Sie ist heute wieder mal besonders aufgekratzt. — Kommt er zu mir?«
    »Nein«, sagte Bray . »Er erwartet Sie heute zwischen sechzehn und siebzehn Uhr. Hören Sie sich den Quatsch mal an und sehen Sie zu, daß Sie ein anständiges Honorar herausschlagen.«
    »Vielen Dank, Mister Bray . Wo erwartet er mich — in Santa Monica oder...?«
    »Ja, fahren Sie hin. Er wohnt in den Palisades .«
    Ich schaute auf meine Armbanduhr.
    »Gut, Mister Bray , dann fahre ich gleich los.«
    »Noch was, Tonio: nehmen Sie sich in acht. Murchison ist ein undurchsichtiger Bursche. Irgendwie hat er Dreck am Stecken. Ich möchte nicht, daß man Sie da in eine faule Sache hineinzieht.«
    Alan D. Bray war nicht nur Leiter der Mordkommission, sondern auch der Vater einer unwahrscheinlich hübschen Tochter. Ich hatte das Gefühl, als sehe er meine Freundschaft mit Verna nicht ungern.
    »Vielen Dank für den Tip «, sagte ich. »Der kleine Tonio wird schon gut auf sich aufpassen.«
    Wir hängten ein.
    Meistens sind wir Privatdetektive der Polizei ein Dorn im Auge. Sehr verständlich, wenn man bedenkt, daß die Amateure oft bessere Arbeit leisten als die Profis — vielleicht weil sie mit mehr Liebe bei der Sache sind. Bray machte mit mir eine Ausnahme, aber ich zweifelte daran, daß das mein Verdienst war. Bis vor acht Jahren nämlich war mein Vater auf Brays Posten gewesen. Als der alte Herr damals seinen Dienst endgültig quittierte, wurde Bray sein Nachfolger. Und Bray hat mich schon gemocht, als ich ihm die Äpfel aus seinem Garten klaute. Nun war ich drauf und dran, ihm Verna zu stehlen.
    Ich ging in mein Zimmer hinüber. Miss Simpson hing mit dem Kopf nach unten in ihrem Käfig und verdrehte ihre Augen nach allen Richtungen, um mich besser beobachten zu können.
    »Na«, sagte ich zu ihr. »Dir geht’s wohl wieder mal zu gut, altes Mädchen?«
    Sie hielt sich mit ihrem dicken Schnabel an einer Käfigstange fest und rutschte wie ein Feuerwehrmann daran zu Boden, spreizte ihren Schwanz und sagte:
    »Keinen Cent, du liederlicher Hund!«
    Diese Bemerkung hatte sie von meiner Tante Elena aufgeschnappt, bei der ich wohnte und die meinen Haushalt führte.
    Miss Simpson war ein Blaustirn-Amazonenpapagei, und Tante Elena, die Schwester meines Vaters, war Vollblutitalienerin; beide verfügten sie über einen enormen Wortschatz.
    Vor etwa fünf Jahren hatte ich den gesprächigen Vogel einem betrunkenen Matrosen in Palm Beach für zehn Dollar abgekauft. Er hatte mir versichert, Miss Simpson sei mindestens vierhundert Jahre alt. Später stellte sich heraus, daß dem keineswegs so war. Zu gewissen Zeiten bekam sie einen wahren Liebeskoller, den sie in Ermangelung eines anderen Objektes an mir auszulassen pflegte.
    Ich
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