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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser
Autoren: André Kubiczek
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1.
    Henry entdeckte die Meldung, als er den Polizeiticker las. Es schien ihm, als wankten die Buchstaben auf dem Monitor.
    Mann tot – Mordkommission ermittelt
    Pankow
    # 1609
    Auf einer Bank im Volkspark Friedrichshain fand eine Passantin in den frühen Morgenstunden die Leiche eines Joggers. Die Umstände des Auffindens deuten auf ein Tötungsverbrechen hin. Die Hintergründe der Tat sind derzeit noch unklar. Die Mordkommission hat die Ermittlungen übernommen.
    Der Kater saß ihm in den Knochen, und das schlechte Gewissen pochte in seinem Schädel. Am Vorabend hatte er sich mit Peter in einer Bar nahe dem Park verabredet, das Treffen hatte handgreiflich geendet.
    Henry wusste, dass es Peter immer gelang, in der Frühe aufzustehen. Er betrank sich bis zum Umfallen und saß am nächsten Morgen frisch in seiner Kanzlei, ohne Fahne, ohne rote Augen. Henry hasste ihn da für und für die Attitüde der Wichtigkeit, mit der Peter stets auftrat. Noch mehr als Peter hasste er nur dessen Frau, und allein um sich zu beweisen, dass auch er fähig war, nach einer durchzechten Nacht zeitig aufzustehen, hatte Henry den Wecker gestern überhaupt gestellt.
    Er kam gegen zehn hoch, stand für eine Minute schlaftrunken herum, bevor er aus dem Schlafzimmer in den Flur trat. Dort warf er einen Blick auf die bunt bekritzelten A-4-Blätter, die mit Reißnägeln an die Tür des gegenüberliegenden Zimmers geheftet waren, des verschlossenen Zimmers , wie er es nannte, seit er es nicht mehr betrat.
    In der Küche brühte er sich einen Kaffee und ging mit der Tasse ins ehemalige Wohnzimmer, in dessen Mitte, exakt im Schnittpunkt der Diagonalen, sein Schreibtisch stand, ein Monolith, dunkel gebeizt, den er Anfang der Neunzigerjahre beim Ausverkauf einer DDR-Behörde billig erstanden hatte.
    Nur ein weiteres Möbelstück – den riesigen Fernseher hatte Henry vor Kurzem verkauft – befand sich im ansonsten leeren Raum, ein schwarzes Ledersofa, das bedeckt war mit Zetteln und Büchern, mit CDs, mit Zeitungsausrissen und Textausdrucken.
    Die gardinenlosen Fenster zeigten auf eine laute, sechsspurige Magistrale, die den Prenzlauer Berg in Ost-West-Richtung durchschnitt, die Wände waren weiß und kahl, nur hin und wieder steckten noch ein Nagel oder ein Dübel darin, die früher gerahmte Bilder und Fotografien gehalten hatten. Weiter unten, auf Kniehöhe, gab es einige schmutzige Flecken, die sich bei genauerem Hinsehen als kindliche Handabdrücke herausstellten.
    Auf dem Schreibtisch stand Henrys Notebook, und während es hochfuhr, nahm er einen Schluck Kaffee, zündete sich die erste Zigarette an und suchte unter den Papierstapeln, die die Arbeitsfläche bedeckten, nach dem Aschenbecher. An manchen Tagen musste er den Schreibtisch von leeren Bier- oder Weinflaschen befreien, die er nachts dort hinterlassen hatte, an anderen fand er ihn in eigentümlicher Ordnung vor.
    Zuerst sah Henry nach seinen E-Mails, ob es Nachrichten gab von Redakteuren und Ressortleitern, denen er Artikel angeboten oder Themen vorgeschlagen hatte. Meist jedoch lag nur Werbung in seinem Postfach. War er damit fertig, widmete er sich der täglichen Recherche, ein Stochern im Vagen, das er beinahe obsessiv betrieb, in der Hoffnung, als Erster auf ein unverbrauchtes Thema zu stoßen, das sich für einen Artikel verwerten ließ, den er verkaufen konnte. Denn um mehr ging es im Moment nicht: Es ging ums Verkaufen. Nur deshalb wühlte er sich durch die Nachrichtenportale der Welt, las Agenturmeldungen und Presseerklärungen, durchforstete die Seiten von Boulevardmagazinen und trieb sich in technischen Diskussionsforen herum. Er machte sich dabei handschriftliche Notizen, seitenweise an manchem Tag, er setzte Dutzende Lesezeichen in seinem Webbrowser, er druckte stapelweise Papier aus.
    Dann klappte er das Notebook zu und ging in die Küche, wo er eine Kopfschmerztablette in ein Glas Wasser warf. Während er zusah, wie sich die Tablette sprudelnd auflöste, überlegte er wieder einmal, dass die Wohnung viel zu groß war für ihn allein, dreieinhalb Zimmer, mehr als hundert Quadratmeter, zu teuer vor allem. Und er dachte, dass er mit drei Monatsmieten im Rückstand lag, sein Dispositionskredit weit überzogen war und auch die Schulden bei Peter in die Dreitausend gingen, von Gas- und Stromrechnungen ganz zu schweigen.
    Henry trank das Glas aus und sah aus dem
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