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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser
Autoren: André Kubiczek
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während Bettina weitererzählte, kultiviert, manierlich, inmitten von Weinbergen. Hügel, sanft abfallende Wiesen, Feldsalat und Schneckensuppe, Riesling und Schwarzburgunder. Obstbrände statt Fusel, Umgangsformen statt Berliner Schnauze, plus: Geld.
    Henry nahm sich vor, diese Assoziationen in seinem Buch unterzubringen, das Badische, wie er es sich vorstellte, der ostdeutschen Barbarei im Allgemeinen und deren Berliner Spielart im Besonderen gegenüberzustellen. Manchmal war schon ein ins Grelle übertriebener Kontrast eine gute Pointe.
    (Als das Buch dann fertig war, brachte ihm ausgerechnet diese Passage den Vorwurf ein, sich in ostdeutschem Selbsthass zu ergehen, was im ersten Moment ärgerlich war, sich im Folgenden aber, nach kleineren Scharmützeln im Blätterwald, positiv auf die Verkaufszahlen auswirkte.)
    Â»Gratuliere«, sagte Henry und hob sein Glas, »weißt du noch, wie ich damals gesagt hab, es würden dir alle Möglichkeiten offenstehen?«
    Â»Ja«, sagte Bettina, »ich erinnere mich.«
    Henry stellte die Teller zusammen und brachte sie zur Spüle. Dann befüllte er den Espressokocher und setzte ihn auf den Herd.
    Â»Die andere Sache ist …«, sagte Bettina, zündete sich eine Zigarette an, inhalierte tief.
    Â»Was für eine andere Sache?«
    Â»Ein Stipendium in London«, sagte Bettina, »das heißt: ein Lehrauftrag.«
    Es war eine Mischung aus beidem und begann im Frühjahr, exakt sieben Monate nach dem Ende des Stipendiums in der Villa. Ein halbes Jahr, überschlug Henry, blieben ihnen also noch an gemeinsamer Zeit.
    Bettina zögerte nicht eine Sekunde, den Lehrauftrag anzunehmen, und auch Henry wäre es nicht eingefallen, von ihr einen Verzicht zu fordern des gemeinsamen Lebens wegen. Ein Wort des Bedauerns hätte er sich trotzdem erhofft, selbst wenn es nicht ernst gemeint war. (Erst aus London schrieb Bettina, dass er ihr fehle, dass sie die gemeinsamen Abende vermisse, die Gespräche nachts in den Bars. Diese melancholischen E-Mails strotzten vor Flüchtigkeitsfehlern und waren alle weit nach Mitternacht abgeschickt worden. In den Telefonaten dagegen schwärmte Bettina von der Stadt und von den Menschen, mit denen sie zu tun hatte.)
    Dieser Aufenthalt sollte ein volles Jahr dauern. Bettina würde mit zwei Kolleginnen in einem Haus der Londoner Innenstadt einquartiert werden, wo jeder eine komplette Etage zum Arbeiten und Wohnen zur Verfügung stand. Der Hyde Park liege in Fußnähe, und sie bekomme ein monatliches Gehalt für einen Einführungskurs in bildnerischem Gestalten, den sie wöchentlich an einer Kunstakademie geben werde.
    Während sie eine zweite Flasche Wein tranken, malte sich Bettina aus, was das Stipendium für ihre weitere Karriere bedeuten könne, und Henry ließ sie gewähren, ohne zu widersprechen, denn er hatte das Gefühl, dass sich allmählich die Spannung löste, unter der Bettina trotz der guten Nachrichten stand.
    Statt eines Desserts hatten sie Sex, und dann war der Tag von Bettinas Doppelsieg vorüber.
    Als Henry sie im April des folgenden Jahres zum Flughafen brachte, war sein Buch so gut wie fertig. Lediglich das Lektorat stand noch aus, für das die Verlagsleute eine Woche konzentrierter Arbeit veranschlagten. Es sollte, begleitet von Werbeaktionen und Medienauftritten, im Oktober erscheinen. Der Verlag baute auf Henrys Bekanntheit als Kolumnist und rechnete mit überdurchschnittlichen Verkaufszahlen. In der Adventszeit wollte man eine zweite, kleinere Werbewelle ins Rollen bringen, um das Weihnachtsgeschäft anzukurbeln.
    Beim Einchecken war Bettina aufgeregt wie ein Kind, bei ihrer abschließenden Umarmung nahm sie Henry das Versprechen ab, sie zu besuchen. Sie musste geweint haben währenddessen, denn nachdem sie hinter der Sicherheitsschleuse verschwunden war, entdeckte Henry einen dunklen Fleck auf seinem Jackett, dort, wo ihr Gesicht gelegen hatte.
    Statt mit dem Taxi fuhr Henry mit dem Bus zurück in die Stadt. Die Sonne schien, die Menschen waren schon fast sommerlich gekleidet und wirkten entspannt, selbst in den ärmlichen Quartieren, durch die die Fahrt ging. Henry sah Kondensstreifen sich im azurblauen Himmel kreuzen. Er dachte: Die Stadt ist jetzt ohne Bettina. Und mit dieser Vergewisserung wich eine Beklemmung von ihm, die zu empfinden er nicht für möglich gehalten hatte.
    Im August flog Henry für zehn Tage nach
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