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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser
Autoren: André Kubiczek
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dreigeschossige Villa. Der nebenstehende Text erklärte, dass ein russischer Adliger sie Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hatte errichten lassen und sie Formen der italienischen Frührenaissance mit neugotischen Einflüssen vereine.
    Bettina versprach, mindestens einmal im Monat nach Berlin zu kommen, und Henry sagte, er werde sie in der Kurstadt besuchen.

3.
    Im November endete das Volontariat. Wie Henry gehofft hatte, wurde ihm eine Stelle als Fester Freier angeboten. Texte zur Kunst schrieb er nur noch vereinzelt, dafür waren seine Zeitgeistkolumnen über die Monate länger geworden und erschienen nun regelmäßig, an einem festen Platz in der Freitagsausgabe.
    In seinen Kolumnen spielte er zwar den dandyesken Misanthropen, der, kulturgeschichtlich bewandert, mit wachem Blick durch die Großstadt flanierte, aber genau genommen ging es in diesen Texten um nichts, um beinahe nichts. Sie handelten von unfreundlichen Supermarktkassiererinnen und schroffen Taxifahrern, von störenden Bettlern in der S-Bahn, von der falschen Fassadenfarbe frisch renovierter Häuser, von kitschigen Fensterdekorationen in den Armenvierteln während der Adventszeit. Doch seine Pointen saßen, und die Ironie, die er kübelweise über die ausgemachten Feinde oder Missstände kippte, kaschierte nicht nur die Leidenschaftslosigkeit, mit der Henry eigentlich schrieb, sondern verschaffte ihm überdies eine kleine, aber enthusiastische Lesergemeinde, Leute, die nur seiner Kolumne wegen freitags das Blatt kauften.
    Bettina freute sich von Herzen, schien es Henry, als er ihr am Telefon von der neuen Stelle berichtete.
    Sie hatte ihr Versprechen nicht gehalten, monatlich nach Berlin zu kommen. Sie schützte Arbeit vor, einen Katalog, von der Landesregierung finanziert, der konzipiert werden musste, genauso wie eine Ausstellung, die in einem leer stehenden Schwimmbad stattfinden sollte.
    Henry widmete sich wieder mehr seinen Freunden, die er in seiner Anfangsverliebtheit vernachlässigt hatte. Mit Kollegen und Bekannten, die er durch die Arbeit kennengelernt hatte, ging er wieder auf Vernissagen, auf Buchpräsentationen und Premierenvorstellungen, auf Partys von Agenturen, Zeitungen und Verlagen. Erst spät in der Nacht kehrte er von solchen Veranstaltungen zurück, satt vom Fingerfood und abgefüllt mit Gratis-Riesling. Er schloss die Wohnungstür auf, trat in den Flur, sog die Luft ein. Es roch nach feuchtem Mauerwerk und kaltem Rauch. Er blieb stets eine Weile stehen, ehe er das Licht anmachte und die Tür hinter sich zuzog.
    Weihnachten verbrachten sie beide bei ihren Eltern, Bettina in Stuttgart, Henry in der Uckermark, und so sahen sie sich erst kurz vor Silvester wieder.
    Henry stand in der Küche und rührte in einer Gemüsesuppe, als er Bettina die Treppe hochkommen hörte. Noch bevor sie den Wohnungsschlüssel aus der Tasche nehmen konnte, öffnete er die Tür und reichte ihr ein Glas Wein. Es war, als wäre sie nie weg gewesen.
    Bettina wollte den letzten Tag des Jahres in Ruhe verbringen, bei einem guten Essen und Wein. Sie sei genug unterwegs gewesen in der letzten Zeit, sagte sie, und nur kurz versuchte Henry sie zu überreden, auf die Party seines Chefs mitzukommen, zu der sie beide eingeladen waren.
    Stattdessen besorgten sie am Silvestermorgen eine Lammkeule, frischen Knoblauch und Oliven, und sie stießen um Mitternacht mit Sekt an, unten auf der Straße, wo sich die Leute aus den anliegenden Häusern versammelten, um gemeinsam Raketen in den bedeckten Berliner Nachthimmel zu jagen.
    Bettina hatte rote Wangen. Sie strahlte ihn an, und Henry war zufrieden.

4.
    In der ersten Januarwoche fuhr Bettina in die Villa zurück, und Henry begleitete sie. Ihr Atelier war groß, fast eine Halle, das Zimmer, in dem sie wohnte, dagegen umfasste kaum zwanzig Quadratmeter und war möbliert mit einem schmalen Bett, einem Kleiderschrank, einem Sessel, einem Schreibtisch und einem Fernseher. Aus dem Fenster sah man in einen winterlichen Park, Kieswege, einige immergrüne Büsche, laublose, reifbedeckte Bäume. Am Horizont konnte man den kleinen Fluss erkennen, der die Stadt in zwei Hälften teilte.
    Die Bäderarchitektur, zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, war gut erhalten, wirkte aber genauso tot wie der Rest der Stadt, die Kuranlagen, die Grünflächen, die Fußgängerzone, in der sich Ramschläden aneinanderreihten. Es gab ein
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