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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser
Autoren: André Kubiczek
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Hoffnung, dass es wieder aufwärtsgehe, hatte er zu keinem Zeitpunkt besessen. Nach außen, Freunden und Kollegen gegenüber, gab er sich trotz der herben Verluste souverän: Geld? – Das war kein Thema, er hatte einen gut bezahlten Job, und wenn er wollte, konnte er ein zweites Buch schreiben, das den Erfolg des ersten mindestens wiederholte.
    Geschnittenes Brot, Margarine, eine Flasche bulgarischen Rotwein, Konserven, Zigaretten. Henry packte die Einkäufe auf die Spüle. Ihm blieb keine Zeit, die Sachen wegzuräumen, er musste arbeiten, er hatte den ganzen Tag nichts anderes getan, als Peters Andeutung seine Geliebte betreffend zu interpretieren, den Verdacht, den er hegte, mal auszuräumen, was näherlag, um ihn dann wieder bestätigt zu sehen, wofür es nicht das geringste Indiz gab. Und er hatte sich gefragt, welche Wirkung sein Faustschlag wohl hinterlassen habe, der allererste seines Lebens, so stark ausgeführt, dass er Abschürfungen an seinen noch immer schmerzenden Knöcheln davongetragen hatte.
    Jetzt aber musste er an seinem Buch weiterschreiben oder einen Artikel entwerfen, irgendwas. Er musste telefonieren, E-Mails schreiben, Kontakte pflegen. Er musste im Gespräch bleiben, Geld verdienen. Außerdem hatte er sich vorgenommen, die Fotos von früher zu suchen. Schon gestern hatte er nichts geschafft, und da war er weder verkatert gewesen, noch hatte er aus dem Haus gemusst.
    Henry setzte sich an den Schreibtisch und sah auf den Bildschirm. Er öffnete das Textdokument, das das Manuskript seines zweiten Buches enthielt, und las die letzten Zeilen, die er wohl gestern Nacht noch geschrieben hatte, als er aus der Bar gekommen war. Die Erzählung begann sich immer mehr von ihrem realistischen Anfang zu entfernen. Neben Figuren, die den ordinären Alltag einer akademischen Unterschicht Berliner Provenienz nachspielten, tummelten sich dort mittlerweile Geister und Elfen, gab es Untote und Zeitportale, mit deren Hilfe sich in Zukunft und Vergangenheit reisen ließ. Das war des Guten eindeutig zu viel, er musste kürzen, Struktur hineinbringen, sich konzentrieren, doch Henry merkte schnell, dass er dazu heute nicht imstande war. Er schloss das Dokument wieder, ohne etwas verändert zu haben, um es gleich darauf erneut zu öffnen und dann blitzschnell in die Taskleiste zu befördern. Jetzt war es da, und es war gleichzeitig nicht da. Er erstellte ein neues Dokument und nannte es »Krieg in den Städten«. Er tippte seinen Namen auf die erste Seite, dann speicherte er es ab und versenkte es gleichfalls in der Taskleiste. Er ging zum Sofa und wühlte dort in den Papieren herum, bis er vergessen hatte, wonach er suchte. Als er deswegen innehielt, fiel es ihm wieder ein: die Fotos von früher. Sie befanden sich offenbar woanders.
    In der Küche entkorkte Henry den Rotwein und roch gewohnheitsgemäß an der offenen Flasche: Geschmack wurde zu einer Frage des Willens, war man knapp bei Kasse.
    In den meisten Fenstern des Hinterhauses brannte jetzt Licht. Einige waren fast vollständig vom Efeu zugewachsen.
    In der Küche seiner gegenüber erkannte er durch den Schleier aus Blättern ein Paar, das sich umarmte und küsste. Nach einer Ewigkeit erst ließ es voneinander ab. Der Mann öffnete eine Flasche Wein. Die Frau hielt ihm zwei Gläser hin, und er schenkte ein. Dann klingelte das Telefon.
    Auf dem Display erschien Cynthias Nummer. Als der Anrufbeantworter ansprang, legte sie auf.
    Gegen Mitternacht zog sich Henry noch einmal die Jacke über und ging in die laue Nacht hinaus, kaum hundert Schritte weit, zu einem türkischen Imbiss.
    Â»Hallo, Nachbar!«, stand in großen Buchstaben auf einem Transparent über dem Eingang, und »Hallo, Nachbar«, sagte auch der verwilderte Mann mit dem Kebabsäbel in der Hand, bevor er Henry eine Flasche Raki über die Theke reichte.
    Im Hinausgehen stieß er mit einer blonden Frau zusammen, für den Bruchteil einer Sekunde sahen sie einander in die Augen. Henry deutete ein Lächeln an, ihr Blick dagegen blieb kalt.
    Henry ging wieder nach oben, löschte das Licht und öffnete die Flasche: Er kannte die Frau mit den blauen, fast türkisfarbenen Augen, sie hatte gestern in der Bar gesessen, als die Sache mit Peter passiert war. Draußen vor dem Haus zerschellten jetzt Glasflaschen auf dem Bürgersteig.
    Mann tot – Mordkommission ermittelt , fiel Henry die
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