Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Innere Werte

Innere Werte

Titel: Innere Werte
Autoren: Kerstin Hamann
Vom Netzwerk:
1
     
     
    Gelangweilt biss Werner Hagedorn in sein Brötchen und blickte auf die Uhr. Erst halb vier. Noch zweieinhalb Stunden bis Feierabend. Der Schichtmeister des Hauptklärwerks Wiesbaden mochte Nachtschichten nicht. Die Zeit verging immer schrecklich langsam. Es gab zu wenig zu tun und seine vier Männer, die irgendwo auf der Anlage ihre Routinearbeiten erledigten, ließen sich auch nur ab und zu blicken. Werner war ein quirliger Mensch, dem dieses untätige Herumsitzen schwerfiel. Es machte ihn unzufrieden. Während der Tagschicht war das etwas völlig anderes. Ständig kam jemand in der Schaltwarte vorbei. An Arbeit und Ablenkung mangelte es da nicht. Werner war froh, dass er nächste Woche wieder Frühdienst hatte.
    Die Nacht hatte bisher keine besonderen Vorkommnisse gebracht. Das Abwechslungsreichste war ein Gespräch mit Frank Neumann gewesen, der ihm in allen Einzelheiten von seiner Fastenkur berichtet hatte, durch die er seinen Fast-Food-geschädigten Verdauungstrakt versöhnlich stimmen wollte.
    Werner stöhnte und zerknüllte sein Brotpapier. Er versuchte, damit den übernächsten Mülleimer zu treffen. Die kleine sportliche Herausforderung vertrieb vielleicht die Müdigkeit, die ihm in den Knochen steckte. Er traf auf Anhieb und mit gereckter Siegesfaust rief er ein lautes »Ja!« durch den großen, stillen Raum. Während er sich auf seinem Stuhl zurückdrehte und sich den Monitoren zuwandte, lächelte er über seine Albernheit.
    Routiniert ließ er seine Augen über die Bildschirme wandern. Plötzlich entdeckte er eine rot blinkende Anzeige, die eine Störung signalisierte und augenblicklich seine volle Aufmerksamkeit genoss. Endlich gab es etwas zu tun. Sofort klickte er auf die Störmeldung, um weitere Informationen über das Prozessleitsystem zu erhalten. Werner erkannte, dass es sich um einen Stillstand im Schneckenpumpwerk handelte. Einer der Elektromotoren hatte abgeschaltet. Er griff zum Funkgerät und schickte Frank, den Elektrotechniker in seiner Schicht, dorthin, um festzustellen, was die Ursache für den Stillstand war. Gespannt wartete er auf die Antwort per Funk. Minuten vergingen. Nichts rührte sich.
    »Frank?«, funkte Werner. »Was ist los?«
    Er erhielt keine Antwort.
    »Merkwürdig«, wunderte er sich. Frank müsste längst am Schneckenpumpwerk angekommen sein. Werner rief das Bild der Überwachungskamera in der Nähe des Pumpwerkes auf und sah eine Gestalt neben der Schnecke stehen. Das musste Frank sein. Was tat er denn da bloß? Mehrfach versuchte Werner ihn anzufunken, doch alles blieb still. Er konnte sehen, dass Frank auf einmal losrannte und aus dem Bild verschwand. Stirnrunzelnd blickte Werner auf den Monitor.
    Plötzlich wurde die Tür zur Schaltwarte aufgerissen und Frank stand völlig außer Atem und mit weit aufgerissenen Augen vor seinem Chef.
    »Was ist denn los mit dir?« Werner ging auf den Kollegen zu. »Du siehst ja aus, als hättest du den Teufel persönlich getroffen.«
    »Hol die Polizei!«, brachte Frank, immer noch nach Luft schnappend, stockend hervor.
    »Was zum Donnerwetter ist denn passiert?«
    »Eine Leiche, … ein Mensch oder so, … ich weiß nicht.«
    »Sag mal, was redest du denn da?« Kopfschüttelnd packte Werner den offensichtlich verstörten Mann bei den Schultern.
    Franks Atem beruhigte sich langsam, aber in seinen Augen stand das blanke Entsetzen. »In der Schneckenpumpe liegt ein Toter.« Er fühlte wie er am ganzen Leib zitterte.
    Werner führte ihn zu einem Stuhl. »Das gibt’s doch nicht!«
    Frank nickte nur und starrte vor sich hin.
    »Du bleibst hier. Ich geh nachsehen.«
    »Nein!«, rief Frank ängstlich. »Hol die Polizei! Die sollen das machen.«
    »Vielleicht hast du dich getäuscht. Vielleicht hast du von deiner Fastenkur Halluzinationen.«
    »Quatsch. Ich weiß doch, was ich gesehen habe.«
    »Auf jeden Fall gehe ich jetzt gucken, bevor ich die Polizei hole.«
    Werner schnappte sich das Funkgerät und seine Jacke und lief die Treppe hinunter auf den Hof. Eilig passierte er die Vorklärbecken, in denen das Abwasser leise vor sich hin gurgelte, ging am dunklen Verwaltungsgebäude vorüber und näherte sich dem Sandfang.
    »Alle mal herhören«, funkte er die anderen drei Männer auf dem Gelände an. »Ich bin auf dem Weg zur Schneckenpumpe. Kommt bitte sofort dorthin. Es gibt ein Problem.« Je näher er dem Schneckenpumpwerk kam, umso mulmiger wurde ihm. Sollte er vielleicht auf seine Kollegen warten, bevor er um das Rechenhaus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher