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Innere Werte

Innere Werte

Titel: Innere Werte
Autoren: Kerstin Hamann
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erste Fall in seiner Laufbahn, wo ihm das schwerfiel.
    Martin wollte das Verhör so schnell wie möglich beenden, die Akte schließen, nicht mehr über Recht und Gerechtigkeit nachdenken müssen. Weg hier! Nach Hause. So stellte er noch eine Frage, die ihn schon die ganze Zeit beschäftigt hatte.
    »Als wir dir die Nachricht vom Tod deiner Mutter brachten, hast du dich tatsächlich im Bad übergeben?«
    »Ja, mir war wirklich kotzübel.«
    »Ich hab dich auch öfter weinen sehen, Tobias. War das jedesmal gut geschauspielert?«
    »Nein. Ich bin ziemlich nah am Wasser gebaut und heule bei vielen Gelegenheiten. Ich musste nur daran denken, was meine Mutter oder ich getan hatten, oder ein paar Zeilen im Tagebuch lesen, dann ging mir das an die Nieren. … Scheiß-Spruch, was?« Tobias blickte Martin an und der Kommissar erinnerte sich an die lebhaften Augen, die er bei dem jungen Mann ab und zu gesehen hatte. Jetzt wirkten sie leer und erschöpft. »Mir kann das gar nicht an die Nieren gehen, ich hab ja nur noch eine … eine fremde noch dazu. Eine, durch die ich lebe, aber unter der ich mein Leben lang zu leiden habe.«
    Schweigend tranken sie ihren Kaffee aus, dann wurde Tobias von zwei Beamten abgeholt.
    »Herr Sandor«, sagte er zum Abschied, »Sie haben mich immer anständig behandelt und es tut mir wirklich leid, dass ich Sie hintergangen habe.«
    »Mir tut es leid, was dir angetan wurde, Tobias. Aber was du etlichen Menschen angetan hast, tut mir auch leid. Und ich hoffe, dass es für dich und die Opfer ein bisschen Gerechtigkeit geben wird.«
     
    Mittlerweile zeigte die Uhr zwanzig nach drei. Michael hatte sich bereits verabschiedet. So war Martin der Letzte, der das Büro verließ. Langsam lief er durch die spärlich beleuchteten Gänge. In diesem Moment empfand er große Dankbarkeit. Was für ein glückliches Leben hatte er bisher gelebt. Dank seiner Eltern war seine Kindheit wunderbar gewesen, sein Beruf hatte ihn immer ausgefüllt und schließlich hatte er auch noch die Liebe seines Lebens gefunden. Das Gefühl war so ergreifend, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb.
    Das Glück war nicht gerecht verteilt, dachte Martin. Aber was auf dieser Welt war schon gerecht? Was wäre wohl aus Tobias geworden, wenn … Ach, es war müßig, darüber nachzudenken. Er schob die Gedanken fort und war froh, dass es nicht seine Aufgabe war, auch noch über das Strafmaß für die Mörder, die er zur Strecke brachte, zu entscheiden. Und die Frage, warum er in Tobias’ Gegenwart nicht ein einziges Mal stutzig geworden war, warum er die Anzeichen für seine Lügen, die dagewesen sein mussten, nicht gesehen hatte, beschäftigte ihn nicht länger, denn er wusste es jetzt. Er hatte es einfach nicht sehen wollen.
    Es war erstaunlich, dass er nach so vielen Jahren mit jedem neuen Fall immer noch dazulernte. Und dieser Fall hatte ihm für die Zukunft gezeigt, was er eigentlich längst wusste: dass ihn seine Emotionen zwar oft weiterbrachten, dass er aber auf Gefühle für die Menschen, die in seine Fälle verstrickt waren, verzichten musste, um absolut professionell arbeiten zu können. Dabei fiel ihm Milster ein, der immer wieder zu ihm sagte: »Sie mit ihren Gefühlen.« In Zukunft würde Martin das Instinkt nennen.
     
    Plötzlich hatte er es sehr eilig, nach Hause zu kommen. Er fuhr ein bisschen zu schnell, aber die Straßen waren leer. Ganz Wiesbaden schien zu schlafen. Innere Ruhe erfüllte ihn und er wollte sie genießen, so lange sie dauerte. Er wusste, dass schon bald ein neuer Mordfall auf ihn warten würde. Die Welt und die Menschen waren eben nicht perfekt. Durch zu viele Emotionen war der Frieden immer wieder zum Scheitern verurteilt. Aus Freunden wurden Feinde, aus Liebe wurde Hass und manchmal wurde ein Kind das Opfer seiner Eltern und steuerte unaufhaltsam ins Verderben.
    Ja, schlafen, dachte er und öffnete die Haustür. Ein guter Gedanke.
    Leise schlüpfte er zu Karla ins Bett und kuschelte sich an sie. Wohlig räkelte sie sich und bettete ihren Kopf an seine Schulter.
    Martin lächelte und dachte: Die Vergangenheit ist vorbei und die Zukunft noch nicht da. Also, lebe den Augenblick!
    Und dieser Augenblick war einer, für den es sich zu leben lohnte.

Danke!
     
    Zahlreichen Menschen, die geduldig meine vielen Fragen beantwortet haben, möchte ich danken.
    Insbesondere meinem Mann für mehrfaches gemeinsames Brainstorming, seine ingenieurtechnischen Ratschläge und seine, im wahrsten Sinne des Wortes,
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