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Innere Werte

Innere Werte

Titel: Innere Werte
Autoren: Kerstin Hamann
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oberen Ende in ein Wohngebiet überging, zur Linken floss der schmale Salzbach, daneben, außerhalb der Umzäunung, führte die Bahntrasse entlang.
    Als Martin am Haupttor ankam, erwartete ihn einer der Erstzugriffsbeamten der zuständigen Polizeiinspektion und deutete auf ein Gebäude gleich am Anfang des Geländes. Dort sollte die Leiche liegen. Genaueres sagte er nicht. Martin wunderte sich über den außergewöhnlich wortkargen Kollegen. Vielleicht war er aber einfach nur müde, genau wie er selbst. Während er der Straße ins Tal folgte, sah er mehrere Gebäude, die durch ihre silbernen Blechverkleidungen recht modern wirkten. Gar nicht so, wie er sich ein Klärwerk vorgestellt hatte. Überall erkannte er Mitarbeiter der Spurensicherung, auch einen Kollegen von der Hundestaffel samt Hund. Also doch ein Hund, der zu dieser Stunde vor die Tür ging, ging es ihm durch den Kopf.
    Michael kam seinem Chef entgegen. »Martin, ich sag dir, sowas hab ich noch nie gesehen.« Er sah ziemlich erschüttert aus. »Das ist unglaublich.«
    »Was ist passiert?« Martins Müdigkeit war augenblicklich verflogen.
    »Im Schneckenpumpwerk hängt ein Toter.«
    »Das heißt?«
    »Jemand ist durch einen riesigen Fleischwolf gedreht worden.«
    »Was?« Diese Information überstieg Martins Vorstellungsvermögen.
    »Dieser Mensch ist nur noch in Teilen vorhanden. Kein schöner Anblick.«
    »Und das auf nüchternen Magen.« Der Kommissar stöhnte.
    »Das kommt auch mit vollem Magen nicht gut. Ich glaube, Paul ist schon schlecht.« Mit einem Kopfnicken deutete er auf seinen Kollegen, der an einem Streifenwagen gelehnt dastand, die Hände in den Hosentaschen und blicklos auf den Boden starrte.
    Martin ging zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm. »Morgen, Paul«, begrüßte er ihn.
    »Hallo, Martin.« Der drahtige junge Mann richtete sich auf. Er überragte seinen Chef um gut zehn Zentimeter, hatte eine Stupsnase und dunkle, kurze Haare, die ihm in alle Richtungen vom Kopf abstanden. Der Kommissar blickte Paul forschend ins Gesicht.
    »Alles klar?«
    Er war weiß wie die Wand und wirkte so hilflos wie ein kleines Kind. »Ich musste kurz mal Luft schnappen«, sagte Paul entschuldigend und sah Martin aus seinen grünen Augen verlegen an. »Ich hab sowas noch nie gesehen.«
    »Wer hat das schon?«, murmelte Michael.
    »Setz dich irgendwo hin, trink ein Glas Wasser und atme tief durch. Nicht, dass du mir noch umkippst.«
    Paul nickte und Martin folgte Michael über den Hof zum Tatort.
    »Der Elektrotechniker Frank Neumann hat die Leiche gegen vier Uhr gefunden, nachdem er aufgrund einer Störmeldung von seinem Schichtmeister, Werner Hagedorn, dahin geschickt worden war. Die beiden sitzen im Steuerungsgebäude da drüben.« Er deutete auf einen zweigeschossigen Bau in einiger Entfernung.
    »Sind sie ansprechbar?«
    »Dieser Neumann ist ziemlich fertig, aber ich denke schon.«
    Sie waren am Fuß der stillstehenden Schneckenpumpe angekommen und blickten nach oben, wo einige Leute der Spurensicherung die Arbeit aufgenommen hatten. Martin schlüpfte in einen der weißen Schutzanzüge, den Michael ihm reichte. Dann stieg er hinter ihm die schmale Treppe hoch, wobei er die Maschine betrachtete. Das Tragrohr mitsamt den aufgeschweißten Schneckenflügeln hatte etwa einen Durchmesser von einem Meter fünfzig und verlief gut zehn Meter schräg nach oben. Das Ganze lagerte in einem eng angepassten Trog aus Beton. Wie Martin an der noch laufenden Schnecke daneben sah, drehte sie sich um die Mittelachse. Schnecke und Trog bildeten dabei Kammern, in denen Wasser stand. Durch die Rotation des schraubenförmigen Bauteils bewegten sich alle Kammern in Richtung des Schneckenendes.
    Und da war ein Mensch hineingeraten? Martin ahnte, dass das ein furchtbares Bild sein musste. An schreckliche Anblicke war er gewöhnt, aber auf das, was er jetzt zu sehen bekam, war er nicht vorbereitet. Dieser Tote, beziehungsweise was von ihm übrig war, war das Grauen pur. Man konnte gerade mal ein Stück Bein erkennen, ansonsten nur zerfetztes Fleisch und Knochen. Martin fuhr sich durch die kurzen, schwarzen Haare und schloss für einen Moment die Augen.
    »Guten Morgen, Martin.« Dieter Hinz trat vom oberen Ende der Förderschnecke zu ihnen.
    »Na, ein guter Morgen ist das ja nicht gerade«, entgegnete Martin und blickte zu Dieter hinauf.
    »Wohl wahr.« Der fünfundfünfzigjährige Kollege schob seine Nickelbrille auf dem Nasenrücken nach oben und schwieg. Sein Gesicht war
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