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Innere Werte

Innere Werte

Titel: Innere Werte
Autoren: Kerstin Hamann
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bleibt, ist das sogenannte Rechengut. Es wird von dem Greifer da oben«, er deutete auf eine Art kleine Baggerschaufel, die am oberen Ende des Rechens hing, »aus dem Wasser geholt. Der ist automatisch gesteuert und wird immer aktiviert, wenn die Höhendifferenz zwischen dem Wasser vor und hinter dem Rechen zu groß wird. Der Greifer lässt das rausgefischte Zeug in die Rechengutpresse fallen. Die entwässert die Feststoffe, zerkleinert und presst sie. Was übrig bleibt kommt per Förderband in einen Container. Und das Ganze in Form einer Wurst.«
    »Wurst aus hauseigener Produktion«, kommentierte Michael. »Also, ran an die Buletten.«
    »Komm hör auf!« Martin verzog das Gesicht bei der Vorstellung, dass diese Wurstmasse Menschenteile beinhaltete.
    »Warum? Ist Paul in der Nähe?«
    »Lass Paul in Ruhe«, nahm Martin den jungen Kollegen in Schutz. »Als ich das erste Mal Leichenteile gesehen habe, und die waren wenigstens noch als solche zu erkennen, habe ich gekotzt.«
    »Du?« Erstaunt hob Michael die Augenbrauen. »Kaum vorstellbar.«
    Die Kollegen kannten Martin als einen verantwortungsbewussten, routinierten Polizeibeamten, der über kriminalistischen Spürsinn, Einfühlungsvermögen und eine gute Menschenkenntnis verfügte. Bei ihm hatte jeder das Gefühl, als könne ihn keine Situation aus der Bahn werfen, als habe er immer alles im Griff. Dieser Eindruck wurde gestützt durch sein sicheres Auftreten und seine Entschlussfreudigkeit.
    »Ich war schließlich auch mal Anfänger. Genau wie ihr übrigens.«
    Natürlich wussten alle, dass man als Einsteiger erst die richtige Einstellung zu diesem Beruf finden und etliche Erfahrung sammeln musste, ehe man mit Extremsituationen gut umgehen konnte. Keiner nahm dem sechsundzwanzigjährigen Paul die kleine Schwäche ernsthaft übel.
    »Jedenfalls«, fuhr Dieter fort, »ist das so die Vorgehensweise. Und deshalb liegen verschiedene Körperteile noch hier vor dem Rechen und einige sind wahrscheinlich schon in der Presse und im Container. Da hat die Spusi noch ein bisschen was zu tun.«
    »Besser die als wir«, sagte Michael mit Überzeugung.
    Martin ging zum nächsten Rechen, der offensichtlich ausgeschaltet war. Er blickte in das stillstehende Wasser.
    »Oh, Gott!«, rief er erschrocken und eine Gänsehaut jagte über seinen Rücken. »Da schwimmt eine Hand!«
    Die Kollegen traten zu ihm und überzeugten sich von dem grausigen Fund im Rechengut. Ein Stück des Unterarmes war deutlich zu erkennen, ebenso die Handfläche samt Fingern, die aus dem braunen Wasser ragten. Man hatte das Gefühl, als ob ein Ertrinkender seine Hand nach den Rettern ausstreckte.
    »Echt gruselig!«, murmelte Michael.
    Welch schaurige Arbeit steht dem Erkennungsdienst da bevor, dachte Martin. Die Kollegen sind wirklich nicht zu beneiden.
    Die Männer wandten sich ab und sahen zum Container hinüber, wo die Kollegen jetzt auseinandertraten und den Blick auf eine schlanke, nicht allzu große Frau mit kurzen, blonden Haaren freigaben. Sie gestikulierte mit den Händen und sah dabei sehr konzentriert aus.
    »Wer ist die Frau?«, wollte Martin wissen.
    »Keine Ahnung«, sagte Dieter, und auch Michael schüttelte den Kopf.
    In dem Moment hatte die Gruppe die drei entdeckt und alle kamen ihnen zielstrebig entgegen. Die Männer nickten sich zur Begrüßung kurz zu.
    »Sind Sie die ermittelnden Beamten?«, fragte die Frau.
    Einer nach dem anderen stellte sich ihr vor.
    »Ich bin Georgia Galanis, die Sachgebietsleiterin«, erklärte sie. »Herr Hagedorn hat mich sofort über den Vorfall verständigt.« Sie hatte eine resolute, aber sehr angenehme, freundliche Stimme.
    »Und Sie sind zuständig für was?«
    »Für so ziemlich alles hier.« Sie schob die Hände in die Taschen ihres grünen Anoraks. »Das ist ja einfach grauenhaft, was da passiert ist.« In ihren intelligenten Augen hinter der schwarz gerahmten Brille lag eine Mischung aus Entsetzen und Ungläubigkeit.
    »Ja, das ist es«, bestätigte Martin. »Aber sagen Sie, diese Rechen, die kann man doch sicher ausschalten?«
    »Ich habe den Herren«, sie deutete mit dem Kopf auf die Leute der Spurensicherung, »gerade erklärt, dass ich die Anlage nicht komplett lahmlegen kann. Das ist unmöglich.«
    »Auch nicht für einen gewissen Zeitraum, bis wir diese Zuläufe kontrolliert haben?«
    »Das würde Ihnen nicht viel nutzen, denn das Wasser läuft weiter. Es würde sich aufstauen und über den Notüberlauf um den Rechen herum zum nächsten Becken
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