Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Holunderblut

Holunderblut

Titel: Holunderblut
Autoren: Barbara Brinkmann
Vom Netzwerk:
OANS
    Die A94 führt von München aus Richtung Osten und endet kurz nach Forstinning. Als B12 führt ihre Verlängerung durch eine malerische Gegend aus Hügeln, Wiesen, Maisfeldern, ein paar Wäldern und kleineren und größeren Orten.
    Von Haag aus fährt man über Ampfing eine gute halbe Stunde nach Mühldorf, das sich über eine Innschleife zieht. Folgt man der Staatsstraße 2092 von Mühldorf aus Richtung Süden und biegt nach etwa 15   Minuten Fahrzeit wieder nach Osten ab, dann befindet man sich richtig auf dem Land.
    Und zwar in Weil.
    Weil ist klein und überschaubar.
    Jeder kennt jeden, man duzt sich, egal, ob beim Metzger Harlander, beim Bäcker Pallinger oder beim Doktor Lechner. Sogar bei der Polizei. Obwohl manche Junge eine Ausnahme machen beim Ersten Polizeihauptkommissar Josef Brunner. Aber der EPHK Brunner natürlich nicht bei den Jungen. Der Brunner ist ja eigentlich ein ganz ein umgänglicher Kerl, aber wenn das Wetter umschlägt, dann schlägt auch dem Brunner seine Laune um. Wegen seiner Migräne. Und dann genießt man ihn besser mit Vorsicht.
     
    Die Katharina macht an ihrem ersten Tag bei der Polizei in Weil natürlich gleich die Bekanntschaft mit dem Brunner seiner Migränelaune.
    Nicht, dass sie seine Launen nicht schon seit ihren Kindertagen kennen würde. Ihr Vater ist sein bester Freund gewesen, schon in der Dorfschule in Weil, die jetzt Grundschule heißt, und in der Polizeischule und all die Jahre im Polizeidienst. Als der Berger seinen Herzinfarkt erlitten hat, da hat der Brunner ihn eigenhändig mit dem Einsatzwagen nach Mühldorf ins Krankenhaus gefahren. Und als der Berger dann dort nicht mehr herausgekommen ist, hat der Brunner sich um die ganzen Formalitäten gekümmert. Zwanzig Jahre ist das her. Die Katharina war noch keine achtzehn damals, und der Brunner hat für ihre letzten minderjährigen Monate die Vormundschaft übernommen. Eine Verwandtschaft hat die Katharina nämlich nicht mehr gehabt.
    Da könnte man jetzt also erwarten, dass der Brunner sich ein bisschen zusammenreißt an der Berger Kathi ihrem ersten Arbeitstag.
    Aber als die Katharina um acht Uhr zur Arbeit in der Polizeidienststelle eintrifft, sieht sie nur, wie er mit hochrotem Kopf aus dem Büro rausrennt und noch zurückschreit: »Ihr kennts mi gernham, machts eiern Scheißdreck doch alloa!« Und zu seinen Schuhen sagt er noch: »Was glaubts ihr eigentlich, wer i bin?!«
    Da hat sich die Katharina auch nicht mehr getraut, dem Brunner einen guten Morgen zu wünschen, weil ein guter Morgen sieht anders aus.
    Außerdem war der Brunner auch schon weiter.
    Ihr ist also nichts anderes übrig geblieben, als an die halb offene Bürotüre zu klopfen und diejenigen zu begrüßen, von denen sich der Brunner gerade mit seiner Migränelaune verabschiedet hat.
    »Guten Morgen. Ich bin die Katharina Berger, ich fang heut bei euch an.«
    »Griaß di, i bin der Hansi.« Ein Polizist, der ausgesehen hat, als wäre er in seiner Uniform geboren worden, so perfekt haben ihm die Beige- und Sandtöne gestanden. Das war der Oettl Hansi.
    »Servus, i bin die Anni.« Die Anni hat ein halbes Lächeln zustande gebracht, obwohl sie doch gerade von ihrem Vorgesetzten so niedergebügelt worden ist.
    Die Fischhaber Anni, das war eine ganz eine Hübsche. Noch recht jung, Mitte zwanzig etwa, und einen Kurzhaarschnitt hat sie gehabt. Braune Haare. Und wie sie so dasteht, erinnert sie die Katharina an jemanden. Aber die Katharina kommt nicht drauf, an wen.
    Das war meistens so bei ihr, das war so was wie ihr Bauchgefühl. Und erst, wenn sie sich wieder mit etwas vollkommen anderem beschäftigt hat, Stunden oder Tage oder Wochen später, ist es ihr dann wie Schuppen von den Augen gefallen und ihr eingefallen.
    »Stimmt, der Brunner hat ja gsagt, dass du heit zum erstn Moi kimmst«, hat die Anni jetzt gesagt, während sie nebenbei ein paar Schriftstücke aufeinandergelegt und so hin und her geschoben hat.
    Der Hansi hat der Katharina dann doch noch die Hand geschüttelt, wie es sich gehört. »Willkommen im Club, wia ma so sagt.«
    Und dann war erst einmal Schweigen.
    Der Brunner war ja nicht da. Der wäre derjenige gewesen, der jetzt hätte sagen können, was zu tun ist. Hat also die Katharina die Initiative ergriffen.
    »Warum war denn der Brunner so zwider eben grad?«, hat sie die beiden jungen Polizisten gefragt.
    »Ja mei   …«, hat der Hansi angefangen, aber weitergegangen ist sein Satz nicht. Er hat sich seine Haarfransenaus dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher