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Zwölfender

Zwölfender

Titel: Zwölfender
Autoren: Britta Schröder
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    Mein rechtes Handgelenk ist geschwollen. Es sieht unförmig aus, grünlich zudem, und schmerzt bei bestimmten Bewegungen so sehr, dass ich zusammenzucke. Dabei habe ich nur mit der flachen Hand gegen eine Tür geschlagen, die verschlossen blieb.
    Oft, ja, und ziemlich heftig, das stimmt.
    Ich habe das Gelenk nicht verbunden. Hätte auch gar kein Verbandszeug gehabt.
    Dass es übel aussieht, bestätigt mir, dass ich das alles nicht geträumt habe. Nachts hält mich ein gleichmäßiges Pochen vom Davondriften ab.
     
    Ein anderes Mal, es ist ein paar Jahre her, schlug ich ähnlich verzweifelt – oder nein: doch anders, haltloser – mit einer rechten Geraden gegen eine Wand, sodass der Mittelhandknochen rechts außen brach.
    Zwei Drähte mussten eingesetzt werden. Ich kam ins Krankenhaus.
    Vor der Operation verabreichte man mir eine Spritze in die Achselhöhle.
    Der Schmerz war so atemberaubend dumpf, dass mir unversehens eine Auswahl längst vergessener Begebenheiten durch den Sinn rann.
    Danach sah ich meinem jodbestrichenen Arm dabei zu, wie er, nichts wollend, zwischen grünen Tüchern hin- und hergehoben wurde. Dieser Arm, in dem sich bündelt, was ich bin, war lahm und fern, als gehörte er niemandem.
     
    Ein paar Wochen später sollten die Drähte in der Praxis eines Handchirurgen entfernt werden. Ich erhielt eine Narkose und sank in eine angenehme dunkle Tiefe.
    Unten, auf dem sandigen Grund, lösten sich die Gewichte von selbst, und ich stieg langsam wie ein Taucher zurück an die Oberfläche. Je näher ich ihr kam, desto mehr trug mich die Idee, wieder vollständig zu sein. Ich sah meine rechte Hand wieder zugreifen, arbeiten mit allem, was ich mag: Holz, Stein, Gips, Farbe, Blattgold, Silikon.
    Der Chirurg ernüchterte mich. Man habe mit Mühe einen der beiden Drähte auslösen können, der andere aber stecke noch im Knochen und müsse im Krankenhaus entfernt werden, was frühestens nach vier weiteren Wochen Heilung möglich sei.
    Die Warterei war mir unerträglich.
     
    Ich habe die wichtigsten Dinge im Leben greifend begriffen, auch wenn meine Augen und Ohren meist wach sind.
    Ein Holzscheit in der Hand halten – und jede verloren geglaubte Gewissheit ist wiederhergestellt. Ein Blatt Papier kann, je nach Beschaffenheit, zum Schreiben einladen oder davon abhalten. Gips, frisch angerührt, wird warm, als hätte man selber ein Leben erschaffen, und er erkaltet wie die, die man verliert.
    Stein gibt sich ungefügig und ist es doch nicht; Silikon gibt sich geschmeidig und weich, ist aber zäh und widerständig.
    Blattgold legt sich, obschon fein und leicht und flatterhaft, in unendlicher Schwere auf jedes Material. Gold sagt immer: Schluss, genug geatmet. Ewigkeit.
     
    Man muss nur mit einer Hand seine Stirn umfassen (Daumen an die eine Schläfe, Mittelfinger an die andere) – und sofort begreift man, dass man eines Tages sterben wird.
    Einen Zeigefinger in kaum geronnene Ölfarbe drücken, ist eine der größten Verlockungen. Ein gut geformtes Geländer oder eine perfekte Kugel umgreifen – und für einen Moment ist jeder Zweifel dahin.
     
    Um den verbliebenen Draht loszuwerden, ging ich noch einmal ins Krankenhaus. Die Ambulanz der chirurgischen Abteilung: erst eine Schwester, dann zwei Ärzte. Eine Frau, ein Mann.
    Ich erhielt eine örtliche Betäubung, die mehrfach zu erneuern war. Die Hartnäckigkeit, mit der sich der Draht in meinem Knochen festgesetzt hatte, irritierte alle Anwesenden.
     
    Geblieben sind eine etwa drei Zentimeter lange Narbe an der Handkante und ein unangenehm surrendes Gefühl bei jeder noch so zarten Berührung damit. Ich vermeide es inzwischen unbewusst, mit dieser Seite der Hand irgendwo anzustoßen. Jemandem die Hand geben, das geht. In diesen Momenten (und ich habe einen festen Händedruck) blende ich das leise Singen in den Nerven einfach aus. Aber mit der geballten Rechten auf den Tisch hauen – zum Beispiel –, das fiele mir tatsächlich gar nicht mehr ein.
    Daher wohl auch die flachen Schläge neulich.
     
    Gute Schauspieler, so las ich, erkennt man daran, dass sie im gespielten Ärger die richtige Reihenfolge einhalten: Man schlägt zuerst auf den Tisch und fängt danach an zu fluchen. Auch weiß man aus neurologischen Untersuchungen, dass unsere Hände den Impuls zum Ergreifen eines Gegenstands erkennen lassen, noch bevor unsere Gedanken den Befehl dazu erteilen. Es ist eine Art vorbewusstes Zucken. Messbar.
    Was heißt das?
    Meine
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