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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser
Autoren: André Kubiczek
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Henry ein Taxi an den Straßenrand und ließ sich zum Bahnhof fahren. Es war ein schöner Frühsommertag, die Felder, die vor dem Fenster des Regionalexpress vorbeizogen, leuchteten sattgrün in der Sonne, die Neubausiedlungen der Stadtflüchtlinge an den Dorfrändern des Berliner Speckgürtels sahen aus wie frisch gewaschen.
    Selbst von der Kreisstadt, in der Henry nach anderthalb Stunden Fahrt ausstieg, hatte der strahlende Tag den Schleier der Vergeblichkeit genommen. Die Trinker auf dem Bahnhofsvorplatz dösten in der Sonne, während Henry auf ein Taxi wartete, das ihn zu seinem Elternhaus brachte.
    Seine Mutter sah ihn entgeistert an, als sie die Tür öffnete: Warum er seinen Besuch nicht angekündigt habe, ob etwas vorgefallen sei, ob es was Neues gebe wegen Johanna?
    Henry sagte, er brauche lediglich ein paar Tage Ruhe, Abstand vom Schreibtisch und von den Problemen mit Birte, überhaupt: von der verdammten Stadt. Er wolle spazieren gehen, sonst nichts.
    Die Mutter wärmte ihm Eintopf vom Mittag auf, und nachdem er gegessen hatte, ging Henry raus aufs Feld, wo sein Vater mit einer Hacke den Boden zwischen den Gemüsesetzlingen lockerte. Er gab seinem Vater, der nicht fragte, was er hier machte, zur Begrüßung die Hand, setzte sich dann an den Feldrand und sah ihm bei der Arbeit zu. Um vier kam die Mutter mit einer Thermoskanne Kaffee und einem Teller belegter Brote, sie aßen und tranken, dann fütterte Henry die Hühner und das Schwein.
    Den Abend verbrachte er mit den Eltern vor dem Fernseher, trank Bier mit seinem Vater, ließ sich auch Schnaps einschenken. Die Mutter saß still in ihrem Sessel und löste Kreuzworträtsel.
    Die Gedanken an Berlin kehrten nur kurz zurück, als er im Bett lag, Sekunden bevor er, schwer vom Alkohol, einschlief.
    Am nächsten Morgen stand er gegen zehn auf, setzte sich an den Küchentisch und ließ sich von der Mutter das Frühstück vorsetzen. Während er aß, sah er ihr beim Panieren der Schnitzel zu, die es seinetwegen zum Mittagessen geben sollte.
    Am Nachmittag fragten die Eltern, ob er Lust habe, mit in die Kreisstadt zu fahren, zum wöchentlichen Großeinkauf.
    Henry sagte, er wolle lieber ein bisschen in die Natur gehen, er könne heute keine Menschen sehen, vor allem keine, die einkauften.
    Er überlegte, einfach loszulaufen, die alten Wege der Kindheit abzuwandern, entschied sich dann aber, das Fahrrad seiner Mutter zu nehmen, mit dem sie kleinere Wege in die Umgebung zurücklegte. Er wollte nach einem Ort Ausschau halten, an dem er sein Buch mit großem Knall enden lassen konnte. Mit Lichteffekten am besten, mit Blitz und Donner. Er nahm sich vor, im Berliner Internetcafé das Phänomen des Polarlichts zu recherchieren.
    Von der Dorfstraße bog er auf die Bundesstraße ab, die in die Kreisstadt führte, fuhr eine Weile auf dem heißen Asphalt, bevor er das Rad auf einen staubigen Feldweg lenkte. Er kam an einem See vorbei, durchquerte einen kühlen Wald, an dessen Ende er wieder auf einen Feldweg gelangte. Am Feldrain kurz verschnaufend, den Rauch einer Zigarette tief inhalierend, sah er sie am Horizont im Sonnenlicht blitzen, hoch oben in der Luft, Loopings fliegend und Achten, Modellflugzeuge, vier, fünf Stück, die aus der Ferne wirkten wie Schmetterlinge aus lackiertem Holz.
    Er hielt darauf zu und sah bald den kleinen Flugplatz, auf dessen kurzer Betonpiste einige Männer standen, umringt von einer Schar Kinder, mit großen Fernsteuerungen, die sie an Gurten um die Hälse trugen. Henry konnte die winzigen Abgasfahnen erkennen, die die Modellflugzeuge hinter sich her zogen, und er hörte ihre Motoren knattern.
    Das war der Ort für das Ende.
    Er stellte das Fahrrad am Zaun ab und betrat das Flugplatzgelände. Früher, in seiner Kindheit, waren Agrarmaschinen der Interflug von hier gestartet und hatten im Tiefflug die Felder der Gegend mit Insektiziden und Dünger besprüht. Heute, las er auf einer Tafel am Eingang, wurden Kurse im Fallschirmsprung angeboten, Modellbaukurse, man konnte den Flugschein erwerben. Außerdem gab es im Flachbau neben der Piste eine kleine Gaststätte, in der sich Henry ein Bier bestellte. Er setzte sich an einen der runden Plastiktische auf der Terrasse und beobachtete die Modellflieger.
    Der rot-weiß gestreifte Windsack hing schlaff an seiner Stange, über dem Beton der Piste flimmerte die Luft. Der Wirt brachte
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