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Die Feuertaufe

Die Feuertaufe

Titel: Die Feuertaufe
Autoren: David Weber
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    Fort. Ihr Kind war fort.
    Hektisch suchte Judith Newland das gesamte kleine Apartment ab, das sie gemeinsam mit ihrer zwei Jahre alten Tochter Ruth bewohnte.
    Schlafzimmer. Bad. Wohnzimmer.
    Während Judith schließlich auch noch alle Schränke aufriss und fast hineinkroch, um noch den letzten Winkel einsehen zu können, gestand sie sich endlich ein, was sie eigentlich schon die ganze Zeit gewusst hatte.
    In der kurzen Zeit, die sie auf dem Flur mit der neuen Mitarbeiterin vom Sozialdienst gesprochen hatte, war die kleine Ruth spurlos verschwunden.
    Judith stand kurz davor, in Panik zu verfallen. Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien. Nachdem sie neunzehn Jahre lang Entführungen, Vergewaltigungen, Mord, Piraterie und zahllose andere entsetzliche Dinge erlebt hatte, waren die letzten beiden Jahre für sie vergleichsweise ruhig verlaufen. Beinahe ohne es zu bemerken, hatte sich Judith einlullen lassen und hielt mittlerweile den Frieden für die Normalität und nicht all die anderen Katastrophen, die sich davor ereignet hatten.
    Nun meldete sich Judiths stählerne Seele zu Wort und stellte sich der aufsteigenden Panik entgegen. Es war jene Unbeugsamkeit, die es ihr gestattet hatte, die lange Gefangenschaft auf Masada nicht nur zu überstehen, sondern an all diesen Widrigkeiten auch noch zu wachsen.
    Judith schloss die Augen und atmete tief durch.
    Im Apartment befand sich Ruth nicht. Also gut! Wo konnte sie stecken? Das Apartment besaß natürlich nur eine einzige Eingangstür, aber vor dem Schlafzimmerfenster gab es einen Notausgang mit Feuerleiter. Erst vor wenigen Tagen hatte man einen Probealarm durchgeführt. Ruth war völlig fasziniert davon gewesen, wie plötzlich die Kontragravröhre aufgetaucht war, nachdem Judith einen Knopf gedrückt hatte, der in der programmierbaren Nanotech-»Tapete« verborgen war.
    Judith konnte sich nicht vorstellen, dass Ruth den Knopf erreicht und ihn gedrückt hatte, sodass die Kontragravröhre aktiviert worden wäre. Andererseits war Judith wirklich die Letzte, die den Fehler machen würde, jemanden aufgrund seines jugendlichen Alters zu unterschätzen. Hätte Judiths eigener Exmann sie nicht unterschätzt …
    Nein. Darüber würde sie jetzt nicht nachdenken! Wenigstens das lag mittlerweile längst hinter ihr.
    Ohne es zu bemerken, war Judith schon den kleinen Korridor hinuntergehastet und steuerte auf das Schlafzimmer zu. Ein kurzer Blick reichte aus, um zu erkennen, dass die Kontragravröhre nicht aktiviert worden war. Auf diesem Weg hatte Ruth das Apartment also nicht verlassen.
    Wieder drohte Panik in ihr aufzusteigen, doch darauf ließ sich Judith gar nicht erst ein. Sie griff nach den Schlüsseln des Apartments und eilte auf den Flur hinaus. Vielleicht hatten ihre Nachbarn ja irgendetwas bemerkt.
    Der Wohnturm, in dem sie beide lebten, stellte selbst für die Manticoraner, die vielerlei Eigentümlichkeiten gewohnt waren, eine Besonderheit dar. Schließlich wohnte in diesem Hochhaus ein Großteil der etwa vierhundert Flüchtlinge, die vor etwa zweieinhalb Jahren gemeinsam vom Planeten Masada entkommen waren. Das alleine wäre gewiss schon bemerkenswert genug gewesen, doch dass es sich bei den Flüchtlingen fast ausschließlich um Frauen handelte – die wenigen Masadaner männlichen Geschlechts unter ihnen waren allesamt noch Kleinkinder gewesen, meist weniger als fünf Jahre alt –, betonte diese Besonderheit noch. Dazu kam, dass die meisten dieser Frauen es zuvor gewohnt gewesen waren, in einem Harem zu leben. Auch jetzt noch war es für sie regelrecht beunruhigend, so etwas wie eine Privatsphäre zu haben. Jeder Manticoraner hingegen hätte gewiss eher den etwaigen Mangel einer Privatsphäre beklagt. Aus diesem Grund besaßen die drei Stockwerke, in denen die masadanischen Flüchtlinge lebten, deutlich mehr Ähnlichkeit mit einem Bienenstock als mit einem gewöhnlichen Wohngebäude.
    Judith selbst gehörte zu den wenigen Frauen, die Privatsphäre sehr wohl zu schätzen wussten. Deswegen hatte sie sich auch dafür entschieden, nicht zusammen mit zwei oder noch mehr Erwachsenen und allen zugehörigen Kindern ein gemeinsames, größeres Apartment zu beziehen. Andererseits unterschied sich Judith auch in vielerlei Hinsicht von den anderen Schwestern Barbaras, nicht zuletzt aufgrund ihres Geburtsortes und der Ausbildung, die sie genossen hatte. Wichtig war auch, dass ihr zur Gänze jener feste, tief verwurzelte Glaube fehlte, der auch jetzt noch das Seelenleben ihrer
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