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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns
Autoren: Michael Scharang
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für die baukünstlerische Arbeit an dem Haus, in dem er seine letzten Tage verbringe. Er war froh, für den Abschied ein versöhnliches Motiv gefunden zu haben, er empfand es als bitter genug, den Freund verfluchen zu müssen, er wollte sich nicht auch noch den Sohn aus dem Herzen reißen.
    Sarani rekelte sich auf der Bank, milde Wärme lag auf seinem Anzug und drang langsam in den Körper, der, in den vergangenen Wochen abgemagert, dankbar die Kraft der Sonne aufnahm. Die Taschenuhr – es war diesilberne, die ihm sein Onkel geschenkt hatte, die goldene hatte er zurück in die Schatulle gelegt, sie paßte nicht zum Anzug – zeigte genau die Stunde an, zu der er mit dem Autohändler verabredet war. Er fühlte sich nun kräftig genug, die fünfzig Schritte bis zu dem Geschäft zurückzulegen, doch blieb er sitzen, nicht aus Schwäche, sondern aus Übermut.
    Ein einziges Mal im Leben unpünktlich sein! Unrechtes tun aus Freude war ihm zeitlebens fremd gewesen, schon gar, wenn es um Pünktlichkeit ging. Auf jemanden, der zu spät kam, warten zu müssen, empfand er als Diebstahl von Zeit. Der Wartende, dachte er, sei reduziert, er könne nicht denken, nicht fühlen, nicht lesen, nicht schauen, er warte nur. Nie, behauptete er, habe er jemanden warten lassen.
    Hatte er selbst warten müssen, vergalt er es dem Unpünktlichen damit, daß er die Beziehung abbrach oder aber, war das geschäftlich nicht möglich, den Konflikt konservierte, um ihn später auszutragen. Und nun ließ er einen Autohändler warten, bei dem er seit Jahrzehnten Lastkraftwagen für die Farm kaufte. Vor zwei Monaten erst hatte er, nicht aus freien Stücken, sondern weil der politisch-religiöse Einfluß des Großhändlers beträchtlich war, bei diesem aus privaten Mitteln einen Kühltransporter bestellt, um das Gemüse von der Farm zum Flughafen zu bringen.
    Dieses Geschäft sollte die Existenz der Farm sichern helfen, nicht die ökonomische, sondern die pure, das Überleben; wenn auch Politiker zögerten, ein weltweit bekanntes Projekt, eine Farm in der Wüste, zu Fall zu bringen, religiöse Fanatiker hätten solche Skrupel nicht.
    Auch wenn es Sarani gelüstete, angesichts des Todesüber die Stränge zu schlagen, durfte er, ob seiner Pünktlichkeit gefürchtet, nicht ohne Begründung unpünktlich sein, was er als schmerzendes Korsett empfand. Er hatte Angst, daß er seiner Tochter durch unbedachtes Verhalten schaden könnte, der Autohändler war ein mächtiger Mann. Sarani wußte aber auch, daß seine Furcht übertrieben war. Johanna hatte vor sechs Jahren die Leitung der Farm übernommen und diese krisensicher strukturiert.
    Das Unternehmen gehörte allen, die dort beschäftigt waren, allerdings hatte die Gründerfamilie es sich in den ersten Jahren vorbehalten, das erwirtschaftete Geld nach ihren Vorstellungen zu investieren. Plädierten die Saranis für die Schaffung einer Musikschule auf dem Areal der Farm, später einer Grundschule, dann eines medizinischen Zentrums mit Zahnambulatorium und Operationssaal, kam es nie zu Kampfabstimmungen, denn die Leute, die auf dieser Farm arbeiteten und über den Ertrag ihrer Arbeit verfügen sollten, wußten durch Mundpropaganda, welche Konzeption das Unternehmen hatte, und es bewarben sich nur Leute, die dieser Idee etwas abgewinnen konnten.
    Viele Menschen aus benachbarten Dörfern, die in Armut lebten und dringend Arbeit benötigten, bewarben sich nicht, weil es sie zwar reizte, nicht Lohnarbeiter, sondern Miteigentümer zu sein, sie aber ihren Anteil am Ertrag, der über den Lohn hinausging, nicht investiert sehen, sondern ausbezahlt haben wollten. Aus ihrer Armenhütte ein Häuschen zu machen, das war ihr verständliches Ziel, sie wollten nicht zum Bau einer Musikschule etwas beitragen müssen und diesen Zwang auch noch als eigene Entscheidung ausgeben.
    Vielleicht, dachte Sarani, war schon seine Absicht falsch, ein Wirtschaftsunternehmen in den Mittelpunkt einer sozialen und schließlich gesellschaftlichen Reform zu stellen, geleitet von dem nach seiner Meinung revolutionären Gedanken, eine Änderung der Welt zum Besseren beginne mit der Änderung der Wirtschaft, nicht mit einer Änderung der Politik, die doch, zusammen mit Polizei und Militär, nur eine schützende Glocke über einer grotesken Wirtschaftsordnung sei.
    Sarani bäumte sich gegen die eigene Resignation auf: O doch, meine Absicht war und ist richtig. In den Jahrhunderten vor der Französischen Revolution hatten die Feudalen die
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