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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns
Autoren: Michael Scharang
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widerfahren war: von einem Albtraum aus dem Schlaf gerissen zu werden und, wach geworden, neben dem Bett sich wiederzufinden. Danach aber waren sie erst recht mit einem Albtraum konfrontiert, dem schrecklichsten: der Wirklichkeit ihrer, wie sie meinten, für immer zerbrochenen Freundschaft.
    Der Österreicher, er hieß Heinrich Freudensprung, wußte nicht, in welchem Zustand der Freund sich befand, sprach vom Ende seines Lebens, halblaut sprach er in sich hinein, daß er diese Pein keinen Tag länger ertrage. Der Ägypter mit Namen Zacharias Sarani, der seinerseits nicht ahnte, wie es dem Freund erging, fühlte sich sterbenselend. So könne er nicht leben. Der September war noch nicht zu Ende – der Monat, in welchem unweit des Hauses, in dem der Österreicher wohnte, im südlichen Teil Manhattans, die beiden höchsten Gebäude New Yorks nach Anschlägen zusammenstürzten; die Nachricht darüber kam ihm zwar zu Ohren, sein Verstand, vom eigenen Unglück zerrüttet, vermochte sie jedoch nicht aufzunehmen –, der September war noch nicht zu Ende, als die beiden Freunde, gegen ihre Absicht, wie jeder betonte, doch wieder miteinander sprachen, wenn auch nur am Telefon.
    Freudensprung war es, der sich überwand und aus New York anrief. Er hatte sich ein paar Sätze zurechtgelegt: daß man einander lange nicht gesehen, daß das Leben ihm übel mitgespielt habe. Sarani sagte nur: Nimm die nächste Maschine. Freudensprung antwortete: Die nächste Maschine nach Kairo fliegt morgen. Der andere sagte: Ich hole dich ab. Und legte auf.

1
    Der Sandsturm
    Was für ein Tag! rief Sarani. Er saß im Schatten eines Baums, schaute hinaus in das Sonnenlicht und sagte zu sich, daß es auf der Welt nichts Schöneres gebe, als sich im Schatten an der Sonne zu erfreuen, noch dazu im Herbst, wenn die Sommerhitze vorüber sei.
    Nach einem langen Seufzer fuhr er fort: Das Leben ist schön gewesen. Auch wenn es in den nächsten Tagen zu Ende geht. Auch wenn mein Lebenswerk zerstört ist. Und um es neu aufzubauen, bin ich zu alt.
    Was für ein Tag, flüsterte er. Zacharias Sarani war froh, daß unter diesem Baum eine Bank stand, und er genoß es, hier zu sitzen, an der kilometerlangen, kerzengeraden Prachtstraße zwischen Kairos Stadtzentrum und dem Flughafen. Auf einem breiten Streifen aus Erde und Sand reihte sich Baum an Baum, meist waren es Palmen, doch hie und da machte sich ein Laubbaum breit.
    Stünde die Bank nicht hier, dachte er, hätte ich mich auf den Boden setzen müssen, denn weiter hätten die Beine mich nicht getragen. Das Auto hatte er am Straßenrand abgestellt, er wollte über den Streifen aus Erde und Sand gehen und dann weiter über die Nebenfahrbahn zur Autohandlung, wo er ein Geländefahrzeug bestellt hatte, nicht zum Kauf, sondern zur Miete, und nur für eine Woche. Danach würde er es nicht mehr brauchen.
    Sarani stellte sich vor, unter dem Baum auf dem Bodenzu sitzen. Unvorstellbar, sagte er zu sich, mit verschmutztem Anzug zum Autohändler und dann zum Flughafen und dort verdreckt in der Ankunftshalle sitzen. Das wäre ihm sonst egal gewesen, nicht aber an diesem Tag.
    Er war früher als gewohnt aufgestanden und hatte unter den Anzügen jenen ausgewählt, den er am liebsten trug, einen aus leichtem, hellgrauem Flanell, einen Zweireiher. Ein Blick in den Spiegel gab ihm recht: In diesem Anzug wirkte er, der kleine, hagere Mann, besonders stattlich. Er band die rote Krawatte um, hielt inne und sah, wie das dunkelgraue, gewellte Haar sich vorteilhaft von dem hellgrauen Stoff abhob.
    Er wußte, wie und wann er sterben würde, darüber brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Er wußte aber nicht, wie er bis dahin leben sollte. Würde er Sophie tatsächlich nicht mehr sehen? Er hatte ihr – sie schlief noch – einen Brief hinterlegt, voll mit Lügen, wie er seit Wochen seine geistige Zerrüttung und seinen körperlichen Zusammenbruch mit Ausflüchten vor ihr zu verbergen suchte. Er sei nicht mehr der Jüngste, war sein liebstes Argument.
    Seine Frau, erinnerte er sich, hatte genickt und gelächelt. Sie höre diesen Quatsch, hatte sie gesagt, seit mehr als einem Jahr, seit seinem sechzigsten Geburtstag, und sie höre ihn gern. Mindestens einmal pro Monat beteuere er, es gehe mit ihm zu Ende, seine Kraft sei aufgebraucht. Ihr, Sophie, sei diese Marotte, die er von seinem Freund Heinrich angenommen habe, welcher diese Unart seit Jahren pflege, lieb geworden, denn nach jeder Ankündigung, er fühle den Tod sich nahen, sei
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