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Die Donovans 2: Die Spur des Kidnappers

Die Donovans 2: Die Spur des Kidnappers

Titel: Die Donovans 2: Die Spur des Kidnappers
Autoren: Nora Roberts
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PROLOG
    S chon früh verstand er, welche Macht er besaß. Was durch seine Adern floss und ihn ausmachte, musste ihm nicht erklärt werden. Und niemand brauchte ihm zu sagen, dass dies eine Gabe war, die nicht jeder besaß.
    Er konnte sehen.
    Die Visionen waren keineswegs immer angenehm, doch wenn sie kamen – noch als er ein kleines Kind war, das kaum laufen konnte –, akzeptierte er sie mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der er auch akzeptierte, dass morgens die Sonne aufging.
    Oft würde sich seine Mutter vor ihn hinknien, ihr Gesicht dem seinen ganz nahe, und ihre Augen würden in seinen suchen. In der unermesslichen Liebe, die sie für ihn empfand, war auch die Hoffnung enthalten, dass er dieses Geschenk immer akzeptieren würde. Und dass er nie dadurch verletzt werden würde.
    Obwohl sie es besser wusste.
    Wer bist du?
    Er konnte ihre Gedanken so deutlich hören, als hätte sie sie laut ausgesprochen.
    Wer wirst du sein?
    Das waren Fragen, die er nicht beantworten konnte. Schon da begriff er, dass es schwieriger war, in sich selbst hineinzusehen als in andere. Er merkte, wie schwierig es war, sich selbst zu kennen.
    Während die Jahre vergingen und er heranwuchs, hielt die Gabe ihn nicht davon ab, zu toben und zu rennen und seinen Cousinen Streiche zu spielen. Er liebte Eiscreme an einem heißen Sommertag, lachte lauthals über die Cartoons am Samstagvormittag im Fernsehen.
    Er war ein normaler, quicklebendiger Junge mit den üblichen Flausen im Kopf und einem bemerkenswert hübschen Gesicht mit geradezu hypnotischen graublauen Augen und einem Mund, der gern lächelte.
    Er durchlief alle Phasen des Heranwachsens, die Jungen durchmachten.
    Die abgeschürften Ellbogen und Knie, die Trotzphasen und Rebellionen, große und kleine, das erste Herzklopfen, weil ein hübsches Mädchen ihn angelächelt hatte. Wie alle Kinder wurde er erwachsen und verließ das Elternhaus, um auf eigenen Füßen zu stehen.
    So wie er heranwuchs, wuchs auch die Macht in ihm. Er empfand sein Leben als wohl geordnet und angenehm. Und er akzeptierte, wie er es schon immer getan hatte, dass er ein Hexenmeister war.

1. KAPITEL
    S ie hatte von einem Mann geträumt, der von ihr träumte. Aber er schlief nicht. Sie konnte ihn sehen, wie er vor einem großen, dunklen Fenster stand, die Arme in die Seiten gestützt. Das Bild von ihm war so deutlich, ganz und gar nicht wie ein verschwommenes Traumbild.
    Seine Augen … sie waren tief, unergründlich. Grau, dachte sie, und drehte sich im Schlaf. Nein, nicht wirklich. Da war auch eine Andeutung von Blau. Die Farbe erinnerte sie an raue Klippen, die steil ins Meer fielen, und im nächsten Moment musste sie an die Wasseroberfläche eines stillen Sees denken.
    Seltsam, sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Und doch wusste sie, dass es angespannt und ernst war. Aber sie sah seine Augen, diese faszinierenden, beunruhigenden Augen …
    Sie wusste, dass er an sie dachte. Nicht nur an sie dachte, nein, er konnte sie sehen. So als würde sie von der anderen Seite auf dieses Fenster, auf ihn zugehen. Und sie hatte das Gefühl, würde sie die Hand ausstrecken und an das Fenster legen, würden ihre Finger durch das Glas hindurchgleiten und seine finden.
    Wenn sie es wollte.
    Stattdessen wälzte sie sich im Bett und murmelte im Schlaf. Selbst wenn sie schlief, konnte Mel Sutherland sich nicht mit Unlogik abfinden. Im Leben gab es Regeln, grundlegende Regeln. Sie gehörte zu den Menschen, die überzeugt waren, dass man besser zurechtkam, wenn man diese Regeln einhielt.
    Also streckte sie die Hand nicht aus, weder um das Glas zu berühren noch den Mann dahinter.
    Ein Kissen fiel zu Boden, als sie sich weiter unruhig bewegte. Sie verdrängte den Traum, und er verblasste.
    Erleichtert und irgendwie auch enttäuscht, fiel sie in einen traumlosen Schlaf.
    Einige Stunden später, die nächtliche Vision tief in ihrem Unterbewusstsein verschlossen, schlug Mel bei dem lauten Schrillen des Mickymausweckers neben ihrem Bett die Augen auf. Eine geübte Handbewegung, und das Geräusch verstummte. Es bestand keine Gefahr, dass sie sich wieder unter die Decke verkriechen und weiterschlafen würde. Mels Verstand war ebenso diszipliniert wie ihr Körper.
    Sie setzte sich auf und gähnte ausgiebig, fuhr sich mit den Fingern durch das vom Schlaf wirre, dunkelblonde Haar. Ihre Augen, von einem satten Moosgrün – eine Farbe, die sie von einem Vater geerbt hatte, an den sie sich kaum erinnern konnte –, blickten nur
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