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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns
Autoren: Michael Scharang
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falsches Leben im richtigen. Im andern Fall stünde jedes Denken still. Denn der Gedanke, der sich aus der Erfahrung nährt, ist angewidert vom falschen Leben, löscht es aus und stellt ihm ein richtiges entgegen. – Den Gedanken drängt es aber auch zur Tat. Er will das richtige Leben realisieren, weiß aber, daß es das richtige Leben weder im Kopf noch in der Wirklichkeit gibt. In der Wirklichkeit gibt es das falsche Leben, im Kopf dessen Verneinung. Was naheliegt, ist der Versuch : im Geistigen der Essay, im Praktischen das Experiment, wie es sich hier auf der Farm entfaltet. (Ich warte auf Deine Einwürfe.)

3
    Das Stahlwerk
    Das Flugzeug war gelandet, es rollte quietschend dahin, als wäre das Fahrwerk defekt, da öffnete Heinrich Freudensprung im Passagierraum den Sicherheitsgurt und stand auf. Er sagte zu sich und versuchte, eine der Bedeutung seiner Worte entsprechende, eine stolze Haltung einzunehmen: In dem Maß, in dem das Flugzeug langsamer wird, schlägt mein Herz schneller. Endlich ist es soweit!
    Er merkte nicht die erstaunten Blicke der anderen, die keine Anstalten trafen, sich zu erheben. Sie waren über Lautsprecher aufgefordert worden, angeschnallt sitzen zu bleiben; es gebe eine Zwischenlandung in Rom, es gelte ein technisches Gebrechen zu beheben, der Aufenthalt dauere nicht länger als eine halbe Stunde, dann werde der Flug nach Kairo fortgesetzt.
    Nachdem Freudensprung sich an zwei Passagieren, die zuvorkommend ihre Knie einzogen, vorbeigedrängt hatte, stand er auf dem Mittelgang und wartete, daß das Flugzeug endlich zum Stillstand kam. Er empfand es als normal, daß er allein es eilig hatte. Er hielt die Mitreisenden für selige, unbekümmerte Menschen, die in Geschäften unterwegs waren, wenn nicht zum Vergnügen. Schon während des stundenlangen Flugs hatte er sie um ihre Fähigkeit beneidet, auf dem Sitz zusammenzusacken und vor sich hinzudämmern, während er, der seitWochen nicht mehr ruhig geschlafen hatte, sondern immer nur für zwei, drei Stunden in eine Art Ohnmacht, einen Zustand völliger Erschöpfung gefallen war, die Stunden im Flugzeug nutzte, um körperliche und geistige Kraft zu sammeln, indem er sich bei geschlossenen Augen zwang, langsam zu atmen, damit er dann, nach der Landung, einem Pfeil gleich hinausschießen könnte, auf den ehemaligen Freund zu, sofern der feige Schurke es wagen sollte, in der Ankunftshalle zu erscheinen – seine Feigheit spreche dagegen, seine Unverfrorenheit dafür.
    Einer, der vor nichts zurückschreckte, der das Wertvollste, ihrer beider Freundschaft, und dazu noch seine neue, große Liebe zu einer Frau, zerstört hatte, der ihn für immer aus der Lebensbahn warf, so einer, stellte er sich vor, würde sich ihm auch frech entgegenstellen. Freudensprung würde auf ihn zueilen und ihn entweder mit einem Blick töten oder aber, wenn das nicht gelang, mit einem Faustschlag.
    Ein Steward kam auf Freudensprung zu. Seine souveräne Miene sagte, er habe einen alten, verwirrten Mann vor sich. Er beruhigte Freudensprung, erklärte ihm den Grund der Zwischenlandung und bat ihn, wieder Platz zu nehmen, was Freudensprung tat, wobei er sich mit der Überlegung tröstete, auf eine halbe Stunde oder Stunde komme es nicht an.
    Was er als Freundschaft verherrlicht hatte, dachte er, war nie Freundschaft gewesen. Er war es, der, von der ersten Sekunde an, den Ägypter brauchte. Der Ägypter, der Ältere, Wohlhabende, Welterfahrene, duldete ihn an seiner Seite, nun, mit sechzig, schüttelte er ihn ab. Und damit er sich nicht wieder an ihn hänge, wolle derÄgypter ihn zerstören. Die ägyptische Prinzgestalt wolle den Lebensabend unbehelligt von dem steirischen Proletarierbalg zubringen.
    Der Steward reichte Freudensprung ein Glas Wasser und bot ihm ein leichtes Beruhigungsmittel an, Freudensprung nahm beides dankbar entgegen, wissend, daß Beruhigungsmittel, auch starke, bei ihm nicht mehr wirkten, dennoch legte er die Tablette auf die Zunge und goß Wasser nach.
    Als der Fremde ihm, so erinnerte Heinrich Freudensprung sich, im Sommer 1958 zum erstenmal gegenüberstand, im Stahlwerk der Firma Böhler in Kapfenberg, hatte ihn dessen offener, forschender Blick auf der Stelle gefangengenommen. Der Fremde sah ihn mit Interesse an. Heinrich stand fassungslos da. Alle möglichen Menschen hatten ihm alle möglichen Empfindungen entgegengebracht, aber kein Interesse. Darunter hatte er nie gelitten. Und nun sagte ihm der Fremde mit seinem Blick, daß er sich für ihn
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