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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns
Autoren: Michael Scharang
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Prolog
    Es waren zwei Männer, ein Ägypter und ein Österreicher, die verband von Jugend an eine tiefe Freundschaft. Daß ihre Wege sich trennten, so zufällig wie sie sich gekreuzt hatten, blieb ohne Einfluß auf ihre Freundschaft. Selbst wenn das Meer zwischen ihnen lag, gewöhnlich das Mittelmeer, manchmal der Atlantik, hatten sie doch das Empfinden, miteinander verbunden zu sein, spürbar, wie damals in der Jugend, als sie Felswände durchkletterten, der bergkundige Alpenbewohner am oberen, der sternenkundige Wüstenbewohner am unteren Ende des Seils.
    Sofern kein Gewitter aufzog – im Sommer fuhren Blitze nieder mit einer Angriffslust, daß man sich, die beiden waren einmal in ein Unwetter geraten, freiwillig hinwarf und das Gesicht ins Geröll drückte – und sofern im Winter der Fels nicht mit Eis überzogen war, unternahmen die beiden jeden Sonntag eine Klettertour auf den Hochschwab, ein Kalkmassiv inmitten der Steiermark, nur zweitausend Meter hoch, aber überreich an zerklüfteten Felstürmen und lotrechten Wänden.
    Zu dem Empfinden der beiden, entfernt voneinander zu sein und doch Seite an Seite zu leben, gesellte sich die Gewißheit, daß sie, indem sie einander schrieben, in stetem Austausch standen. Briefe zu schreiben bedeutete für sie nicht, das Sprechen zu ersetzen, denn sie schrieben nicht im Plauderton, sondern wohlüberlegt, und suchten fürdie Sache, um die es ging, den schönsten Ausdruck, der Sache wegen, aber auch aus Lust am Klang der Wörter, den sie, wenn einmal ein Satz gelungen war, in ihrem Überschwang für die Sache hielten.
    Das erforderte Zeit. Einen Brief zu schreiben hieß, sich einen Tag freizuhalten. Und da keine Woche verging, ohne daß sie einander schrieben, verwandten sie in einem Monat vier, manchmal fünf ganze Tage auf nichts anderes als auf ihre Korrespondenz. Entsprechend knapp faßten sie sich im Umgang mit der übrigen Welt.
    Hunderte Briefe, sorgsam gesammelt, gern wiedergelesen, waren es im Lauf der Jahrzehnte geworden, der Abstand von Brief zu Brief wurde nicht länger, die Briefe nicht kürzer. In ihnen offenbarten die zwei Männer Gefühle, die sonst im Verborgenen geblieben und dort erstickt wären, weil ihnen die Lebensluft gefehlt hätte, und sie vertrauten einander Gedanken an, vor deren Kühnheit sie, mit sich allein, zurückgeschreckt wären, Gedanken, die, wie die beiden sich ausdrückten, mit dem Kopf durch die Wand, nicht an ihr zerschellen sollten. Und dann, im Alter, dieser Haß. Sinnesverwirrt und kraftlos traten sie gegeneinander an, zwei brüchige Windmühlen, die sich für Ritter hielten, bereit zum tödlichen Hieb gegen den Halunken, der, so wüst dachten sie voneinander, diese schöne Freundschaft gemein verraten hatte. Für beide gab es nur einen Schuldigen: den anderen. Sie konnten, zerfressen von Haß, das Glas nicht mehr halten, verschütteten den Wein, mit dem sie sich Mut hätten antrinken wollen, Mut, um das Maul aufzureißen, damit der Fluch herauskann und sich im Feind verkrallt.
    Gegen diesen Wahn, in dem sie sich suhlten wie in einerJauche, von deren Gestank sie nicht genug bekamen, gab es nur eine einzige Barriere, eine unscheinbare und doch haltbare Schranke, nämlich, daß es nicht in der Natur der beiden Männer lag, sich in Haß zu verzehren.
    Sie waren dem Ausbruch dieser Pest nicht gewachsen, einer Gefühlspest, die auch den Körper, die beiden waren um die sechzig, an allen Ecken und Enden in Mitleidenschaft zog, als Kopf-, als Gelenks-, als Rückenschmerzen, in einem Ausmaß, daß das Herz, damit das Leben nicht stehenblieb, schneller und schneller schlagen mußte.
    Das Herz befand sich im Wettlauf mit dem Tod. Der klopfte mit der Knochenhand einen aberwitzigen Takt, um es anzutreiben, bis es erschöpft aufgeben würde. An eine Ruhepause war in diesem Kampf nicht zu denken, schon gar nicht an einen heilsamen Schlaf, der doch für die beiden Männer, schon um zur Besinnung zu kommen, so wichtig gewesen wäre.
    Sie hätten es als himmlisch empfunden, einmal, ein einziges Mal in diesen höllischen August- und Septemberwochen des Jahres 2001 in einen Schlaf zu fallen, der länger währte als zwei Stunden. Aber auch dieser Kurzschlaf war nur eine Art Ohnmacht, randvoll noch dazu mit Albträumen. Erwachten sie daraus, war es ein Aufschrecken, das den Körper von der Matratze katapultierte und ihn neben das Bett auf den Fußboden warf. Als sie später darüber sprachen, konnten sie es nicht fassen, daß jedem das gleiche
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