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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns
Autoren: Michael Scharang
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unumschränkte politische Macht, ökonomisch aber mußten sie, weil sie ihr Leben und ihre Politik anders nicht finanzieren konnten, die bürgerliche Ökonomie, den Kapitalismus, gewähren lassen. Daran gingen sie zugrunde. Der Kapitalismus zieht daraus die Lehre, nichts neben sich zu dulden. Ich ziehe daraus die Lehre, sehr wohl eine andere Art des Wirtschaftens, wenn bislang auch nur in Gestalt eines kleinen Unternehmens, dagegenzustellen. Das halte ich für revolutionär. Auch wenn der Österreicher, auch wenn die Welt es anders sieht.
    Die nächste Stufe, eine kleine Stufe nur und für mich doch das Lebensziel, wäre die Akademie gewesen. Akademie, was für ein schönes Wort, wir haben nie ein anderes verwendet. Die Farm war das Unternehmen, die Akademie die Unternehmung. Nun ist sie tot, und ich folge ihr nach. Die Farm wird dank Johanna existieren, auch über den Tod meiner Frau hinaus, denn für Johanna ist die Farm nicht wie für mich eine ägyptische Sache und schon gar nicht eine Pioniertat, sie und die ägyptischen Mitarbeiterund Miteigentümer, mittlerweile mehr Frauen als Männer, stecken das erwirtschaftete Geld nicht mehr nur in die hiesige Farm, sie beteiligen sich an ähnlichen, wenn auch weniger radikalen genossenschaftlichen Unternehmen, einem in Südafrika, einem in Italien und an einer Bergbauerngenossenschaft in Österreich. Johanna will nicht in der Angst leben, eines Tages durch die Willkür eines politischen oder religiösen Regimes ihre Existenz gefährdet zu sehen. Droht jemand, daß ich gehen muß, pflegt sie zu sagen, dann drohe ich, daß ich gehe.
    Sarani empfand Freude, als er daran dachte, daß niemand wußte, wo er war. Es war wie ehedem, als er, ein Kind, hinaus in die Wüste fuhr, um seine Kräfte an der Gewalt des Sturmes zu messen. Damals war es eine übermütige Freude, die ihn beflügelt hatte; an diesem Tag war es, er hatte nicht gewußt, daß es so etwas gab, eine traurige Freude, die auf ihm lastete. Er vermutete, als Kind seinem Bedürfnis, allein zu sein, so maßlos nachgegeben zu haben, daß es für immer gestillt war. Er konnte sich nicht erinnern, seit jener Wüstenzeit, wie er sie nannte, jemals mit Absicht allein gewesen zu sein.
    Als er, es war während des Studiums in Graz, in der Pause eines Konzerts ebenso unvermittelt wie zufällig einer Frau gegenüberstand, in der er sofort die Frau seines Lebens erkannte, zum Glück empfand sie es ähnlich, hatte er fortan das Verlangen, Sophie zumindest einmal am Tag zu sehen, Sophie, die großen Wert darauf legte, daß das O in ihrem Namen betont wurde. Konnte er sie einmal nicht sehen, empfand er diesen Tag als trostlos.
    Deshalb war es eine fragwürdige Freude, nach Jahrzehnten wieder allein zu sein. Frühmorgens hatte er gesehen, es sich aber nicht eingestanden, daß sein Anzug ihn mehrschlecht als recht kleidete, er hing von seinen Schultern wie von einem Knochenkleiderbügel, der Hagere war in den letzten Wochen spindeldürr geworden. Ein trauriger Anblick war der traurigen Freude vorangegangen.
    Wieviel Zeit er doch hatte, nun, da seine Zeit abgelaufen war! Er hatte sich vorgenommen, den Text des Österreichers einmal noch zu lesen, ehe er ihn dem Schurken zurückgeben würde als Dokument beispielloser Heuchelei. Der Text trug den Titel: Entwurf für eine Rede zum sechzigsten Geburtstag.
    Es sei ein Fehler gewesen, dachte Sarani, vorzuschlagen, daß sie gemeinsam den sechzigsten Geburtstag feiern sollten, obwohl er selbst diesen bereits im Vorjahr hatte, der Österreicher erst im Februar dieses Jahres. Er wollte ein Fest veranstalten, gewiß auch anläßlich der Geburtstage, vor allem aber zur Erinnerung an jenes Fest vor mehr als dreißig Jahren, mit dem der Österreicher die Gründung der Farm gerettet hatte. Sie bohrten damals seit einer Woche nach Wasser, sehr erfolgreich, die Arbeitsbedingungen waren erträglich, die Versorgung war gut, das Leben in den Zelten aber, in welchen alles, die Bodenplane, die Wäsche, die Seife, die Zahnbürste, im Sand versank, zermürbte, von Sarani unbemerkt, die Leute.
    Da verschwand der Österreicher wortlos und kam nach einigen Tagen wieder, brachte aus Kairo mit Lastwagen Material, um die erste Baracke zu errichten, vor allem aber ein großes Zelt, Tische, Sessel, und es gab eine Nacht lang ein Fest, wie die Wüste es seit Jahrtausenden nicht erlebt hatte. Auch so konnte der Österreicher sein. Ein ähnliches Fest sollte in diesem Jahr stattfinden.
    Ebendieser Mann, erinnerte
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