Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pakt der Liebenden

Der Pakt der Liebenden

Titel: Der Pakt der Liebenden
Autoren: John Connolly
Vom Netzwerk:
Prolog
    Die Wahrheit ist häufig eine entsetzliche
Waffe der Aggression. Mit der Wahrheit
kann man lügen und sogar morden.
    Alfred Adler (187 0 –1937), Neurosen
    Ich sage mir, dass dies keine Ermittlung ist. Ermittlungen gelten anderen, aber nicht der eigenen Familie und auch nicht mir. Ich vertiefe mich ins Leben Fremder und lege ihre Geheimnisse und Lügen bloß, manchmal des Geldes wegen und manchmal, weil es die einzige Möglichkeit ist, alte Gespenster zur ewigen Ruhe zu betten, aber ich will nicht auf diese Art und Weise an Menschen herumstochern und -kratzen, die ich für meine Mutter und meinen Vater halte. Sie sind tot. Lass sie schlafen.
    Aber zu viele Fragen sind unbeantwortet geblieben, zu viele Unstimmigkeiten gibt es in der Schilderung ihres Lebens, einer Geschichte, wie sie von ihnen erzählt und von anderen fortgeführt wurde. Ich darf sie nicht länger ungeprüft lassen.
    Mein Vater, William Parker, von seinen Freunden Will genannt, starb, als ich fast sechzehn Jahre alt war. Er war Polizist im Neunten Revier an der Lower East Side von New York, wurde von seiner Frau geliebt und war ihr treu, und er hatte einen Sohn, den er verehrte und von dem wiederum er verehrt wurde. Er entschied sich, in Uniform zu bleiben und keine Beförderung anzustreben, weil er zufrieden war, als gewöhnlicher Streifenpolizist auf der Straße zu dienen. Er hatte keine Geheimnisse, zumindest keine so schrecklichen, dass sie bei ihm oder denjenigen, die ihm nahestanden, nicht wiedergutzumachenden Schaden angerichtet hätten, wenn sie enthüllt worden wären. Er führte ein ganz gewöhnliches Kleinstadtdasein, jedenfalls soweit das möglich war, wenn der Tagesablauf von Dienstplänen, Morden, von Diebstahl, Drogenmissbrauch und den Übergriffen der Starken und Skrupellosen auf die Schwachen und Wehrlosen bestimmt wird. Seine Fehler waren geringfügig, seine Sünden lässlich.
    Jede dieser Aussagen ist eine Lüge, abgesehen davon, dass er seinen Sohn liebte, auch wenn sein Sohn manchmal vergaß, ihn seinerseits zu lieben. Schließlich war ich ein Teenager, als er starb, und welcher Junge in diesem Alter wetzt nicht die Hörner mit seinem Vater und versucht sich gegen den alten Herrn im Haus durchzusetzen, der die sich stets verändernde Welt um ihn herum nicht mehr versteht? Habe ich ihn also geliebt? Natürlich, aber letzten Endes habe ich mich geweigert, es ihm oder mir gegenüber zuzugeben.
    Hier kommt also die Wahrheit.
    Mein Vater starb keines natürlichen Todes – er nahm sich das Leben.
    Dass er nicht befördert wurde, war nicht seine freie Entscheidung, sondern eine Strafe.
    Seine Frau liebte ihn nicht, und wenn doch, dann liebte sie ihn nicht mehr so wie einst, denn er hatte sie betrogen, und dies zu vergessen, brachte sie nicht über sich.
    Er führte kein gewöhnliches Leben, und Menschen starben, um seine Geheimnisse zu wahren.
    Er hatte große Schwächen, und er beging Todsünden.
    Eines Abends tötete mein Vater zwei unbewaffnete Teenager auf einem Stück Brachland, nicht weit von dem Haus in Pearl River entfernt, in dem wir wohnten. Sie waren nicht viel älter als ich. Er erschoss zuerst den Jungen und dann das Mädchen. Er benutzte den Revolver, den er bei sich hatte, wenn er nicht im Dienst war, einen 38er Colt mit zweizölligem Lauf, denn er war zu dem Zeitpunkt nicht in Uniform. Der Junge wurde im Gesicht getroffen, das Mädchen in die Brust. Als er sich davon überzeugt hatte, dass sie tot waren, fuhr mein Vater wie in Trance in die Stadt zurück, duschte und zog sich im Umkleideraum des Neunten Reviers um, wo man ihn abholte. Keine vierundzwanzig Stunden später erschoss er sich.
    Mein ganzes Erwachsenenleben lang habe ich mich gefragt, warum er sich so verhalten hat, aber es kam mir so vor, als ließen sich keine Antworten auf diese Frage finden, oder dass ich mich lieber belog.
    Bis heute.
    Es wird Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen.
    Dies ist eine Ermittlung über die Umstände, die zum Tod meines Vaters führten.

Erster Teil
    Hass und Liebe zugleich heg’ ich. Du fragst nach dem Grunde?
    Weiß nicht; dass es so ist aber, empfind’ ich mit Schmerz.
    Catull , Carmina, 85

1
    Der junge Faraday wurde seit drei Tagen vermisst.
    Am ersten Tag unternahm man gar nichts. Schließlich war er einundzwanzig, und in diesem Alter mussten sich junge Männer nicht mehr an die Vorschriften der Eltern halten und zu einer bestimmten Zeit heimkommen. Dennoch war sein Verhalten untypisch. Auf Bobby Faraday konnte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher