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Der Pakt der Liebenden

Der Pakt der Liebenden

Titel: Der Pakt der Liebenden
Autoren: John Connolly
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für Bobby Faraday war, zumal mittlerweile vierundzwanzig Stunden vergangen waren, seit er die Tankstelle verlassen hatte, und da er nach der Arbeit offenbar auch keine der einheimischen Bars besucht hatte, war Ron Nevill allem Anschein nach der Letzte, der ihn gesehen hatte. Der Chef ließ sich im Haus der Faradays eine Beschreibung und ein Foto von dem Jungen geben und verständigte die örtlichen Ordnungshüter und die Staatspolizei davon, dass man es möglicherweise mit einer vermissten Person zu tun habe. Bei den anderen Dienststellen ließ man sich Zeit, ehe jemand reagierte, denn dort war man genauso skeptisch wie der Chef, was das Verhalten junger Männer anging, und bei Vermisstenfällen wartete man für gewöhnlich zweiundsiebzig Stunden, bevor man annahm, dass das Verschwinden nicht nur auf Alkohol, Hormone oder häusliche Schwierigkeiten zurückzuführen war.
    Am zweiten Tag begannen seine Eltern und Freunde mit einer inoffiziellen Suche in der Stadt und ihrer Umgebung, aber vergebens. Als es dunkel wurde, kehrten seine Mutter und sein Vater nach Hause zurück, aber sie schliefen in dieser Nacht nicht, so wie sie auch schon in der Nacht zuvor nicht geschlafen hatten. Seine Mutter lag im Bett, hatte das Gesicht dem Fenster zugewandt und horchte auf nahende Schritte, den vertrauten Gang ihres einzigen Sohnes, der endlich zu ihr zurückkehrte. Sie regte sich leicht, als sie hörte, wie ihr Mann aufstand und seinen Morgenmantel anzog.
    »Was ist los?«, fragte sie.
    »Nichts. Ich mache mir Tee und setze mich eine Weile hin.« Er hielt kurz inne. »Möchtest du auch einen?«
    Doch sie wusste, dass er nur aus Höflichkeit fragte, dass es ihm lieber wäre, wenn sie blieb, wo sie war. Er wollte nicht, dass sie schweigend am Küchentisch saßen, beisammen und doch getrennt, und jeder die Ängste des anderen schürte. Er wollte allein sein. Sie ließ ihn gehen, und als sich die Schlafzimmertür hinter ihm schloss, fing sie an zu weinen.
    Am dritten Tag begann die offizielle Suche.
    Die goldenen Halme bewegten sich wie ein Wesen, als sie sich einmütig im sanften, spätwinterlichen Wind bogen, so wie sich eine Kirchengemeinde im Gottesdienst verneigt, wenn sie auf die Konsekration wartet.
    Sie wisperten vor sich hin, ein sachtes, leises Rauschen, das von in der Ferne anbrandenden Wellen hätte stammen können, wenn es an diesem tief im Binnenland gelegenen Ort ein derart fremdartiges Geräusch gegeben hätte. Das fahle Feld war mit kleinen, roten, orangen und blauen Blumen gesprenkelt, die ihre Blütenblätter in ein Meer aus Ähren und Halmen verstreuten.
    Die Halme waren von der Sense verschont geblieben und hoch aufgeschossen, zu hoch, selbst als das Getreide verrottete. Die Ernte eines ganzen Jahres war verdorben, denn der alte Mann, auf dessen Grund und Boden die Halme standen, war im letzten Sommer gestorben, und seine Verwandten stritten sich um den Verkauf des Grundstücks und die Aufteilung des Erlöses. Während sie stritten, hatten sich die Halme gen Himmel gereckt, wie ein Meer aus stumpfem Gold mitten im Winter, das leise über etwas wisperte, das umwogt und unentdeckt in der Nähe lag.
    Und dennoch wirkte das Feld friedlich.
    Plötzlich legte sich der Wind einen Moment lang, und die Halme standen aufrecht, als wären sie durch die Veränderung beunruhigt, als spürten sie, dass nichts mehr so war wie zuvor, dann kam der Wind wieder auf, heftiger diesmal und in vereinzelten Böen, unter denen die Halme wogten und wirbelten, weniger sanft aneinander scharrten. Vereinzelte Grannen und Spelzen brachen ab und leuchteten im Sonnenschein auf, als sie zu Boden fielen. Das Wispern wurde lauter und übertönte den Ruf eines einsamen Vogels, der davon kündete, dass sich etwas näherte.
    Ein schwarzer Schemen tauchte am Horizont auf, wie ein großes Insekt, das über den Ähren schwebte. Es wurde größer, bis Kopf, Schultern und Körper eines Mannes zu erkennen waren, der zwischen dem in Reih und Glied stehenden Weizen hindurchging, während sich vor ihm eine kleinere, unsichtbare Gestalt schnuppernd und kläffend einen Weg bahnte – die ersten Eindringlinge in das Territorium der Halme, seit der alte Mann gestorben war.
    Eine zweite Gestalt kam in Sicht, schwergewichtiger als die erste. Die hier hatte allem Anschein nach ihre liebe Mühe mit dem Gelände und war die Anstrengung nicht gewohnt, die durch die Teilnahme an der Suchaktion von ihr verlangt wurde. Weit im Osten konnten die beiden Männer einen
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