Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle
Autoren: Joseph Wambaugh
Vom Netzwerk:
 

    MITTWOCH, DER ERSTE TAG

    1.
    Das Rad summte, und Rollo murmelte jiddische Flüche vor sich hin, während er Poliermittel auf die schimmernde Bronzeoberfläche auftrug.
    »Nicht einen Kratzer hat dieses Abzeichen«, meinte er.
    »Sieh doch mal genauer hin, Rollo«, entgegnete ich. »Zwischen dem S in Los und dem großen A in Angeles. Ich bin damit mal gegen die Tür meines Schließfachs gestoßen.«
    »Dieses Abzeichen hat noch keinen einzigen Kratzer«, beharrte Rollo und fing zu polieren an, worauf ich beobachten konnte, wie sich unter seinem Quengeln und Nörgeln Bronze zu Gold und Chrom zu Silber verwandelte. Mir sprangen die blau emaillierten Lettern, die sich zu der Bezeichnung ›Polizeibeamter 4207‹ zusammenfügten, in die Augen.
    Er seufzte und beugte sich über den Ladentisch, um mir das Abzeichen zu reichen. »Bist du jetzt zufrieden?«
    »Nicht schlecht«, bedankte ich mich, wog das metallene Oval in meiner Hand und genoß seine Schwere. Auf Hochglanz poliert, würde es das Sonnenlicht wie ein Spiegel reflektieren.
    »Schade, daß das Geschäft nicht bessergeht. Sonst hätte ich es nicht nötig, so einem verrückten alten Kerl von der Polente schön zu tun.« Rollo kratzte sich am Kopf. Sein Haar, weiß und struppig, stand von seinem Kopf ab wie gesträubte Hühnerfedern.
    »Was willst du denn, du alter Gauner? Hast du vielleicht Angst, deine Einbrecherfreunde könnten jemanden von der Polizei in deinem Laden sehen und ihren heißen Schmuck zu einem anderen Ganoven bringen?«
    »Haha! Bob Hope sollte sich mal besser vorsehen. Wenn du es irgendwann einmal vielleicht doch satt bekommen solltest, die Steuerzahler zu schröpfen, könntest du ihm ja fast noch Konkurrenz machen.«
    »Tja, ich muß jetzt leider los und ein paar schweren Jungs das Handwerk legen. Was bin ich dir für diese lausige Poliererei schuldig?«
    »Du weißt, ich habe eine schwere Nierenentzündung. Also bring mich bitte nicht zum Lachen. Du kriegst hier schon seit zwanzig Jahren alles gratis, und jetzt kommst du plötzlich daher und willst bezahlen?«
    »Also, dann bis später, Rollo. Ich gehe mal eben zu Seymour's zum Frühstücken rüber. Er weiß meine Anwesenheit wenigstens zu schätzen.«
    »Seymour also auch? Ich weiß ja, daß für uns Juden die Welt ein einziges Leidenstal ist. Aber muß es uns denn gleich alle auf einmal so schwer erwischen?«
    »Bis bald, alter Socken!«
    »Paß gut auf dich auf, Bumper!«
    Ich schlenderte in den ätzenden Smog hinaus, der über der Main Street hing. Ich fing bereits zu schwitzen an, als ich noch einmal kurz stehenblieb, um Rollos Arbeit zu bewundern. Die meisten Kanten waren schon seit Jahren abgewetzt, und durch das zwanzigjährige, tägliche Reiben und Polieren hatte das Metall einen unglaublichen Glanz bekommen. Ich hielt die Vorderseite des Ovals gegen die grelle Sonne und beobachtete, wie sich das Licht in dem Gold und Silber fing. Dann steckte ich mir das Abzeichen an mein Uniformhemd und begutachtete in der blauen Plastikfolie, mit der Rollos Schaufenster überzogen war, mein Spiegelbild. Die Folie hatte Falten und Blasen geworfen, und ich sah aus wie ein Monstrum. Obwohl ich kerzengerade dastand, hing mir mein Bauch herunter, als wäre ich ein blaues Känguruh, und mein Arsch war so breit, als hätte ich zwei Gummiknüppel quer nebeneinander verschluckt. Meine Backen hingen mir in diesem Zerrspiegel bis auf die Brust herab, und mein breites, rosiges Gesicht mit der geröteten Nase war von einem tiefen, geäderten Blau, ähnlich der Farbe meiner Uniform, die aus irgendeinem Grund unverändert reflektiert wurde. Insgesamt also ein häßlicher Anblick, aber es war das Abzeichen, das mich daran hinderte, meine Augen abzuwenden. Das zehn Zentimeter große Oval an meiner Brust funkelte und blitzte so sehr, daß ich nach ein paar Augenblicken den blau gekleideten Mann dahinter gar nicht mehr sehen konnte. Vielleicht eine ganze Minute lang stand ich einfach nur so da und starrte auf das Abzeichen.
    Seymour's Delikatessenladen liegt zwar nur einen halben Häuserblock von Rollos Juweliergeschäft entfernt, aber ich entschloß mich trotzdem, den Wagen zu nehmen. Mein Schwarzweißer war wegen des verheerenden Verkehrs im Parkverbot vor Rollos Laden geparkt. Gäbe es nicht diese rot markierten Randsteine, fände man vermutlich nicht einmal für ein Polizeiauto einen Parkplatz. Ich öffnete die weiße Tür und setzte mich vorsichtig hinter das Steuer. Das Sonnenlicht brannte durch die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher