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Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester!
Autoren: Lois Duncan
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Natalie die Geschichte vom Mädchen am Strand erfunden hatten. Aber warum sollten sie so was tun? Was für einen Zweck hatte das? Wenn Gordon mit mir Schluss machen wollte, ging das auch einfacher – und Natalie müsste gar nicht mit in die Sache hineingezogen werden.
    Â»Sie müssen einfach gelogen haben«, sagte ich zu Jeff, als wir die Leiter zum Hauptdeck runterkletterten. »Aber es ergibt überhaupt keinen Sinn.«
    Â»Mach dir deswegen keine schlaflosen Nächte«, murmelte er. »Ahearn ist es nicht wert.«
    Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich mich über die Bemerkung geärgert. Jetzt wollte ich glauben, dass es stimmte.
    Wir gingen am Anleger von Bord und Seite an Seite den Kai entlang bis zur Straße.
    Â»Bis morgen«, sagte ich, und Jeff murmelte etwas Unverständliches. Offenbar bedauerte er es, dass er mir so viel seiner wertvollen Zeit geopfert hatte.
    Er schlug den Weg nach Süden zum Dorf ein und ich ging in die andere Richtung, zur Nordspitze. Das erste kurze Stück Straße war durch Dünen und Strandhafer vom Wasser getrennt, es war windstill und heiß, als ob der restliche Sommer hier gefangen war und darauf wartete, freigelassen zu werden. Doch als ich die Biegung hinter mir gelassen hatte, schlug mir die salzige Brise mit Wucht ins Gesicht und mit ihr die Gerüche nach Algen und Wellen, die um die Felsen schwappten. Und oben, gefährlich nah am Abhang des Felsvorsprungs, hob sich Cliff House gegen die grelle Nachmittagssonne ab. Die schräg einfallenden Sonnenstrahlen funkelten stark auf den Fenstern des Ateliers, das ganze obere Stockwerk schien aus tanzenden Regenbögen zu bestehen. Wie konnte meine Mutter dort, mitten im Lichtgewirr, nur arbeiten? Unter der glitzernden Krone wirkte der Rest des Hauses wie eine aus Bastelpapier ausgeschnittene Form, die an den Himmel geklebt worden war.
    Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass mir jemand folgte. Schnell schaute ich mich um. Die Straße war leer. Ich ging etwas schneller, obwohl mir klar war, dass ich mich einfach albern anstellte. Ich hatte weder etwas gehört noch gesehen, es gab also keinen Grund zu glauben, irgendwer könnte in der Nähe sein. Auf der Nordspitze der Insel gab es nur Cliff House, sonst nichts, und kein Mensch kam je hier raus, außer, um meine Familie zu besuchen.
    Â»Du hast wohl Verfolgungswahn«, sagte ich laut und angewidert. »Diese Sache mit Gordon und Natalie ist dir unter die Haut gegangen.«
    Trotzdem beschleunigte ich meine Schritte, so wie man das macht, wenn man sich verfolgt fühlt, und ich rannte schon fast, als ich den Pfad erreichte, der zum Haus hinaufführt.
    Ich ging durch die Küche rein, die noch im selben Zustand war wie heute Morgen, als ich zur Schule gegangen war, nur dass meine Mutter die Milch wieder in den Kühlschrank gestellt und mein Vater sich offensichtlich im Laufe des Tages Spiegeleier und Speck gebraten hatte. Dad ist ein Nachtmensch und Mom ein Tagmensch, ihre Zeitpläne haben also kaum Überschneidungen. Wenn wir morgens das Haus verlassen, geht Mom direkt hoch in ihr Atelier, und Dad schläft lange und macht das wieder wett, indem er die halbe Nacht arbeitet.
    Jetzt konnte ich ihn hinter der geschlossenen Tür seines Arbeitszimmers auf dem Computer tippen hören, und ich wusste genau, dass es besser war, ihn dabei nicht zu stören.
    Stattdessen stieg ich die Stufen zum Wohnzimmer hoch. Neal war da, er lag bäuchlings auf dem Teppich in dem Licht, das aus dem Westfenster in den Raum fiel. Er zeichnete.
    Â»Hi«, sagte ich. »Woran arbeitest du?«
    Â»Ich entwerfe ein Schloss.« Er runzelte die Stirn, seine hellen Augenbrauen stießen aneinander, so konzentriert war er. Wenn Neal zeichnet, versinkt er total in seiner Beschäftigung. Aber dann hob er plötzlich den Kopf und guckte mich erstaunt an. »Bist du eben von draußen reingekommen?«
    Â»Woher denn sonst?«
    Â»Wie hast du das gemacht? Ich dachte, du wärst oben.«
    Â»Wie kann ich denn oben sein, wo ich doch gerade erst aus der Schule komme?«, fragte ich vernünftig. »In der Highschool lassen sie einen nicht mehr mittags nach Hause gehen, weißt du.«
    Â»Aber Dad hat gesagt, du bist oben. Er hat gesagt, du bist heute nicht zur Schule gegangen.«
    Â»Neal, was soll das?«, sagte ich. »Du weißt doch genau, dass ich in der Schule war. Ich hab dieselbe Fähre genommen wie du. Wir
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