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Geliebter Fremder

Geliebter Fremder

Titel: Geliebter Fremder
Autoren: Lisa Kleypas
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Kapitel 1
    »Lady Hawksworth, Ihr Gemahl ist nicht tot!«
    Lara blickte James Young unverwandt an. Sie hatte den Verwalter wohl falsch verstanden … oder er war betrunken, obwohl sie bei ihm noch nie eine Neigung zum Alkohol bemerkt hatte. Vielleicht hatte ihm auch die Arbeit für Lord Arthur und Lady Janet Hawksworth den Verstand benebelt. Diese beiden konnten jeden zum Wahnsinn treiben, wenn ihnen nur genug Zeit zur Verfügung stand.
    »Ich weiß, dass es ein großer Schock für Sie alle ist«, fuhr Young ernst fort. Seine Augen hinter den Brillengläsern blickten besorgt. »Vor allem für Sie, Mylady.«
    Würden die Neuigkeiten aus einer weniger verlässlichen Quelle stammen, hätte Lara sie sofort als unsinnig abgetan. James Young jedoch war ein umsichtiger und vertrauenswürdiger Mann, der der Familie Hawksworth seit über zehn Jahren treu diente. Er hatte ihr Treuhändervermögen seit dem Tod ihres Ehemannes tadellos verwaltet, auch wenn es nicht viel Geld war, um das er sich kümmern musste.
    Arthur, Lord Hawksworth, und seine Frau Janet sahen Young ebenfalls an, als ob sie an seiner geistigen Gesundheit zweifelten. Sie waren ein schönes Paar, beide groß, blond und hager. Sie hatten zwar zwei Söhne, doch sie hatten sie nach Eton abgeschoben und sprachen nur selten von ihnen. Arthur und Janet ging es anscheinend nur um eines – ihren neu erworbenen Reichtum und Status so ausgiebig wie möglich zu genießen.
    »Unmöglich!«, explodierte Arthur. »Wie können Sie es wagen, mir mit einem solchen Unsinn zu kommen! Ich verlange auf der Stelle eine Erklärung!«
    »Sehr wohl, Mylord«, erwiderte Young. »Ich habe gestern erfahren, dass kürzlich eine Fregatte in London eingelaufen ist, und zwar mit einem höchst ungewöhnlichen Passagier an Bord. Anscheinend hat er eine auffällige Ähnlichkeit mit dem verstorbenen Earl.« Respektvoll blickte er zu Lara, während er hinzufügte: »Er behauptet, Lord Hawksworth zu sein.«
    Eine Welle von Zorn überflutete Arthur. Sein schmales, von tiefen, zynischen Falten zerfurchtes Gesicht lief rot an.
    Seine langen Nasenflügel bebten ärgerlich. »Was ist das für ein dummes Geschwätz? Hawksworth ist seit einem Jahr tot. Er kann das Unglück vor Madras unmöglich überlebt haben! Meine Güte, das Schiff ist buchstäblich in zwei Hälften zerschellt. Alle an Bord sind ertrunken. Wollen Sie mir etwa erzählen, dass es meinem Neffen irgendwie gelungen sein soll, sich zu retten? Der Mann, der uns das weismachen will, muss ein Verrückter sein!«
    Janet presste ihre schmalen Lippen zusammen. »Er wird sich schon bald als Betrüger herausstellen«, sagte sie und strich über die Vandyke-Spitze am Mieder ihres smaragdgrünen Seidenkleids.
    Young ignorierte die wütenden Kommentare der beiden und trat auf die Witwe zu. Lara saß in einem Lehnstuhl am Fenster und blickte auf den Teppich. Wie alles in Hawksworth Hall war auch der Perserteppich von einer Opulenz, die an Geschmacklosigkeit grenzte, ein fantastisches Muster surrealer Blumen, die aus einer chinesischen Vase herauswucherten. Die Spitze ihres abgetragenen schwarzen Lederschuhs wurde unter dem Saum von Laras Trauerkleid sichtbar, als sie geistesabwesend die Konturen einer roten Blume mit dem Fuß nachfuhr. Sie wirkte gedankenverloren und merkte anscheinend gar nicht, wie Young auf sie zutrat. Unvermittelt richtete sie sich wie ein getadeltes Schulmädchen auf und blickte ihn an.
    Selbst in ihrem dunklen Kleid, das hochgeschlossen und schmucklos wie eine Nonnentracht war, strahlte Larissa Crossland eine sanfte, elegante Schönheit aus. Mit ihrem dunklen, üppigen Haar, das von den Nadeln kaum gehalten werden konnte, und ihren verträumten, blassgrünen Augen sah sie bezaubernd aus. Aber ihr Anblick löste keine Leidenschaft aus. Sie wurde oft bewundert, aber ihr wurde nie der Hof gemacht… niemand flirtete mit ihr oder begehrte sie. Vielleicht lag es daran, dass sie ihre Gelassenheit wie eine Waffe verwendete und damit jeden auf Distanz hielt.
    Vielen in Market Hill kam Lara fast wie eine Heilige vor. Eine Frau mit ihrem Aussehen und ihrer Stellung hätte ohne Mühe einen zweiten Ehemann finden können, sie jedoch hatte sich dazu entschieden, sich wohltätigen Aufgaben zu widmen. Stets war sie sanft und freundlich und ihre Großzügigkeit erstreckte sich auf Adlige wie auf Bettler. Young hatte noch nie gehört, dass Lady Hawksworth auch nur ein unfreundliches Wort über jemanden verloren hätte, weder über den Ehemann,
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