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Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester!
Autoren: Lois Duncan
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dürfen. In seinem zweiten Sommer auf der Insel hatte er ein Motorrad, und hinten drauf immer irgendein kreischendes Mädchen, das die Arme um seine Taille schlang und das Kinn auf seine Schulter legte. Manchmal hatte sie dunkles Haar, manchmal war sie blond, aber immer waren ihre Haare lang und glänzten und wehten hinterher wie der Schweif eines Kometen, wenn sie die Straße entlangdröhnten.
    In jenem Jahr war ich vierzehn geworden, dünne, flachbrüstige vierzehn, und nachts habe ich davon geträumt, wie es wohl sein mochte, eins von diesen Mädchen zu sein.
    Die Jungs auf der Insel waren in jenem Sommer alle neidisch auf Jeff gewesen, auch wenn sie es nicht zugeben wollten. Es gab eine Menge Gerede darüber, was für ein wilder Typ er war, und man munkelte, dass einige Väter unter den Feriengästen sich bei Mr Rankin beschwert hatten, weil sein Sohn dies und das mit ihren Töchtern angestellt hatte. Die Mädchen selbst hatten sich natürlich nie beschwert, und da die meisten von ihnen älter waren als er, hätte ich auch vermutet, dass sie schon auf sich selbst aufpassen konnten. Wie sich herausstellte, war es gut gewesen, dass Jeff wenigstens diesen Sommer gehabt hatte, denn im nächsten explodierte eine Dose Feuerzeugbenzin und brannte ihm das halbe Gesicht weg.
    Er wurde im Hubschrauber aufs Festland geflogen. Die anderen, die auch auf der Grillparty gewesen waren, als der Unfall geschah, Rennie Ziegler war einer von ihnen, beschrieben die Einzelheiten jedem, der es hören wollte.
    Â»Die Sanitäter haben nur die Köpfe geschüttelt, als sie ihn auf die Trage gelegt haben«, sagte Rennie. »Und er hat immerzu so gurgelnde Geräusche von sich gegeben, als ob er schreien wollte, aber nicht konnte. Ausgeschlossen, dass er das überlebt, sag ich euch. Echt.«
    Jeff hatte überlebt. Die Ärzte schafften es sogar, seine Augen zu retten, doch das auch nur, weil er eine Sonnenbrille getragen hatte. Weihnachten war er wieder zurück auf die Insel gekommen, aber niemand hatte ihn gesehen. Mr Rankin erklärte, er sei noch nicht stabil genug für Besuch. Bald danach ging Jeff zu einer weiteren Operation ins Krankenhaus.
    Im nächsten Sommer kehrte er auf die Insel zurück, diesmal blieb er. Die linke Seite seines Gesichts war völlig okay. Wenn man ihn aus einem bestimmten Winkel anschaute, hätte man ihn glatt für einen unglaublich gut aussehenden Typen halten können. Aber wenn man ihn von rechts sah, musste man die Luft anhalten und schlucken. Diese Seite seines Gesichts war total zerklüftet und lila verfärbt – und der Mundwinkel war hochgezogen wie bei einer Halloweenmaske. Alle wollten nett zu ihm sein und so tun, als ob nichts verkehrt war mit seinem Aussehen, aber er ließ keinen Zweifel daran, dass er die Bemühungen nicht zu schätzen wusste. Den größten Teil der Zeit blieb er im Haus, sein Dad sagte, er dürfe nicht in die Sonne. Als es September wurde, dachten wir, er würde wieder zurück nach New York fahren, aber er ging mit uns anderen zur Schule. Er hatte ein Jahr verloren, deshalb war er jetzt in meiner Klassenstufe. Keiner von uns wusste, warum er beschlossen hatte, auf der Insel zu bleiben, statt bei seiner Mom zu wohnen, und fragen wollte ihn auch niemand.
    Rennie hatte es auf den Punkt gebracht: »Wie soll man denn mit jemandem reden, der einen nur anfaucht, egal, was man zu ihm sagt? Seine Persönlichkeit ist bei dem Unfall genauso verkorkst worden wie sein Gesicht.«
    Jetzt, als ich mich neben ihn auf die Bank setzte, war mir seine Persönlichkeit ziemlich egal. Ich hatte genug mit meiner eigenen Wut zu schaffen.
    Â»Es wäre maßlos untertrieben zu sagen, ich hätte Streit mit Gordon«, sagte ich. »Der kann mich mal. Weißt du, Nat Coleson hat doch gestern Abend diese Party gegeben.« Ich hätte mir am liebsten sofort die Zunge abgeschnitten. Man redete doch nicht über Partys mit Leuten, die nicht eingeladen waren.
    Â»Nee«, sagte Jeff und machte damit die Sache nicht einfacher.
    Â»Na, hat sie«, fuhr ich lahm fort. »Im Gasthaus. Ich bin nicht hingegangen.«
    Â»Dann musst du krank gewesen sein«, bemerkte Jeff.
    Â»Du sagst es, das war ich tatsächlich. Und darum ging es bei der ganzen Sache.« Die Worte sprudelten nur so aus mir raus. Es gab keinen Grund, warum Jeff sich für die Geschichte interessieren sollte, das wusste ich wohl,
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