Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester!
Autoren: Lois Duncan
Vom Netzwerk:
machten. Du wolltest reden und ich hab mich hinter dem Krach versteckt. Ich hatte Angst vor dem, was du sagen würdest.«
    Â»Diese Gruppen klingen doch alle gleich. Spielt das eine Rolle?«
    Â»Keine«, sagte Jeff. »Nur war das keine Gruppe. Es war nicht mal das Radio. Im Fernsehen lief ein Western mit viel Gebrüll und Schießereien. Das hättest du nicht vergessen.« Er ließ Lia los, und sie riss den Arm weg, als hätte sie sich verbrannt. Seine rechte Hand fuhr blitzschnell in die Jackentasche. »Ich hab dir was mitgebracht. Das wollte ich dir heute in der Schule geben. Es ist die Halskette von Helen. Ich hab den Verschluss repariert.«
    Â»Ich will sie nicht haben«, sagte Lia schnell.
    Â»Es ist der Fetisch, der Adler. Es ist ein Schutz gegen die bösen Himmelsgeister! Du hast sie bei deiner ersten Astralreise getragen. Ist deinem Körper deshalb nichts passiert?« Sein Ton hatte sich verändert. Er klang nicht mehr mürrisch und in seinen Augen blitzte der Argwohn. »Bist du Laurie? Oder hat Meg vielleicht doch recht? Bist du ihr Gespenst? Bist du Lia?«
    Er holte den Fetisch aus der Tasche und hielt ihn hoch. Lia richtete den Blick auf die dünne Silberkette mit dem strahlend blauen Vogel in der Mitte und keuchend wich sie zurück.
    Â»Nimm das Ding weg! Ich hab’s dir doch gesagt, ich will es nicht!«
    Ihre Hand schoss vor und schlug ihm die Kette aus den Fingern. Darauf war Jeff nicht gefasst gewesen, er stolperte zurück, fuchtelte Halt suchend herum und griff ins Leere. Verzweifelt bemühte er sich das Gleichgewicht zu halten, aber sein schlimmes Bein rutschte ihm weg und er sackte zusammen und ging zu Boden.
    Sofort war Lia in Bewegung. Bevor ich ganz begreifen konnte, was passierte, hatte sie eine der Krücken aufgesammelt und schwang sie wie eine Streitaxt. Ich erhob die Stimme zu einem stummen Schrei, als ich ihre Absicht durchschaute.
    Megs Schrei war ein Echo des Lautes, den ich nicht von mir gegeben hatte. Mit einer schier unglaublichen Geschwindigkeit für jemanden, der so klein und pummelig war wie sie, bückte sie sich und schnappte sich die heruntergefallene Halskette vom Dock, auf dem sie gelandet war, nachdem sie Jeff aus der Hand geglitten war.
    Â»Hau ab!«, kreischte sie. »Böses Ding, verschwinde!«
    Sie holte mit ihrem pummeligen kurzen Arm aus und schleuderte den Fetisch auf Lia.
    Er traf sie hart am Hals und in diesem Bruchteil einer Sekunde geschah etwas. Lia schien innezuhalten und zu schwanken. Die Krücke rutschte ihr aus der erhobenen Hand, und als sie runterfiel, wurde diese Hand zu meiner eigenen. Plötzlich war der Widerstand gebrochen, und ich spürte, wie die Silberschnur sich mit einem so heftigen Ruck fest zusammenzog, dass ich vor Schmerz keuchte.
    Und ich hörte es, dieses Keuchen! Es war nicht stumm!
    Ich konnte sprechen! Ich konnte weinen! Ich konnte fühlen!
    Die frostige Winterluft prickelte auf meinem Gesicht. Mein rechtes Handgelenk schmerzte an der Stelle, an der Jeffs kräftige Finger sich ins Fleisch gebohrt hatten. Ich stand reglos da, gelähmt von den Empfindungen, die so vertraut und doch plötzlich so neu waren.
    Â»Ich bin wieder da!«, rief ich. »Ich bin zu Hause!«
    Ich hörte, außer mir vor Freude, wie laut und triumphierend meine Stimme klang. Dann stürzte ich lachend und weinend wie eine Verrückte in Jeffs ausgestreckte Arme.
    Der Kreis hat sich geschlossen. Während ich dies geschrieben habe, bin ich achtzehn geworden, und wieder ist September. Ich habe meine selbst gesetzte Deadline eingehalten und diese Geschichte ist jetzt zu Ende.
    Aber stimmt das auch? Im Leben gibt es keinen richtigen Anfang und auch keinen Schluss. Wo fängt diese Geschichte wirklich an? In dem Augenblick, in dem ich Lia das erste Mal gesehen habe? Bei unserer Geburt? Bei unserer Zeugung? Oder Jahrhunderte davor, als das erste Bild eines Astralkörpers, der über einem physischen Körper schwebt, gemalt und in ein ägyptisches Grab gelegt wurde?
    So viel bleibt unbeantwortet. Ich denke oft an Helen. Mr Tuttle hat mir eine kurze, sachliche Nachricht geschickt, in der er mir mitteilte, es gehe ihr gut und sie würde ihr Abschlussjahr in einer Schule im Shiprock Reservat wiederholen. Sie hat immer noch keine Erinnerung an die Zeit, die sie in New England verbracht hat. Er hat mich gebeten, nicht zu versuchen, mit ihr Kontakt aufzunehmen.
    Â»Manche Dinge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher