Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester!
Autoren: Lois Duncan
Vom Netzwerk:
schreibe ich das hier. Wenn ich gehe, will ich alles hinter mir lassen: Cliff House, meine Erinnerungen und sie . Doch um das tun zu können, muss ich die Geschichte erst von meinem Kopf auf ein anderes Medium übertragen.
    Ich hab nicht so ein Talent zum Schreiben wie mein Vater. Das hat Meg mitbekommen, so wie Neal die künstlerische Begabung meiner Mutter geerbt hat. Aber weil niemand hier ist, mit dem ich reden kann, bleibt mir nichts anderes übrig, als meine Geschichte zu Papier zu bringen.
    Hoffentlich gelingt es mir, vor September zum Ende zu kommen.
    Es begann im September vor einem Jahr.
    An diesem besonderen Morgen wachte ich mit einer einzigen Frage im Kopf auf: Schaffe ich das?
    Eine Weile lag ich da und überlegte, ich hatte fast Angst, es alleine zu versuchen. Dann setzte ich mich auf, ganz langsam. Alles okay. Ich schwang die Beine über die Bettkante und richtete mich vorsichtig auf.
    Immer noch nichts. Das Zimmer schwankte nicht. Mein Magen machte keinen Satz und krampfte sich auch nicht zusammen. Der Geschmack im Mund war total normal.
    Dann hatte Mom also doch recht gehabt, die schreckliche Übelkeit von gestern war nichts weiter als so ein 24-Stunden-Virus gewesen! Es war vorbei. Mir ging es gut. Ich würde den ersten Schultag mitmachen können.
    Etwas wackelig durchquerte ich das Zimmer, nach einer Magen-Darm-Grippe war man ja immer etwas schwach auf den Beinen, und trat auf den Balkon hinaus. Das war wie ein Bad in goldenem Licht, die Sonne schien aus allen Richtungen auf mich nieder. Der Himmel über mir strahlte leuchtend blau und die salzige Brise duftete noch immer nach Sommer. Das Wasser war so ruhig und klar, dass ich meinte, bis auf den sandigen Meeresboden schauen zu können.
    Unmöglich, dass offiziell der Herbst angefangen hatte.
    Ich glaube, im Leben eines jeden Mädchens muss es diesen einen besonderen Sommer geben, der einen Wendepunkt markiert, eine Zeit des Reckens und Streckens und Erblühens, nach der man die Kindheit hinter sich lässt. Für mich war das dieser Sommer gewesen. Im letzten Jahr war ich noch total verlegen und unbeholfen gewesen, nichts als spitze Knie und Ellenbogen und Rippen, die man zählen konnte. Meine Schüchternheit hatte ich hinter einem Buch versteckt, während Mädchen wie Natalie Coleson und Darlene Briggs in ihren Bikinis herumwackelten und Jungs dazu brachten, Cola für sie zu kaufen und sie mit Sonnencreme einzureiben.
    Ich hatte immer gedacht, das wär nichts für mich, so was würde ich nie erleben.
    Doch dann rief jemand: »He, Laurie!« Ich drehte mich um, und da war Darlenes Freund, Blane Savage. Er grinste mich an. Gordon Ahearn, der platt wie eine Flunder neben ihm gelegen und die Sonne aufgesaugt hatte, hob den Kopf, damit er ja nichts verpasste.
    Â»Hey, komm doch mal rüber!«, rief Blane.
    Langsam ging ich zu ihnen und stellte mich vor sie. Die Aufforderung hatte mich ziemlich verwirrt. Das ganze Jahr lang hatte ich Blane täglich in der Schule gesehen, und er hatte sich kaum je die Mühe gemacht, ein Wort mit mir zu wechseln.
    Â»Was willst du?«, fragte ich.
    Â»Nur mal Hallo sagen«, sagte Blane. Seine Schultern waren weiß und sommersprossig und in der Badehose sah er längst nicht so gut aus wie in Jeans und Sweatshirt.
    Bei Gordon war das ganz anders. Auf seinem schlanken, muskelbepackten Körper schien sich die Sonnenbräune das ganze Jahr lang zu halten. Er strich sich die blonden Haare aus dem Gesicht und betrachtete mich eingehend.
    Â»Ist das ein neuer Badeanzug?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Den hatte ich letztes Jahr schon.«
    Â»Na, irgendwas sieht anders aus«, sagte er anerkennend. »Warum legst du dich nicht zu uns und leistest uns Gesellschaft? Willst du Sonnencreme?«
    Â»Nein danke«, sagte ich. »Ich krieg nie einen Sonnenbrand.«
    Drüben am Turm der Rettungsstation redete und lachte Natalie Coleman mit ein paar Collegejungs, die mit der Fähre vom Festland rübergekommen waren. Natalie war mit Gordon zum Schulball gegangen. Sie war total hübsch und beliebt, aber mir war aufgefallen, dass sie im Laufe des Winters ziemlich zugelegt hatte. Sie tat zwar so, als wäre sie ins Gespräch vertieft, aber sie guckte ständig in meine Richtung.
    Ich schaute auf meinen eigenen flachen Bauch (Gewichtsprobleme hatte ich noch nie gehabt), und plötzlich fühlte ich mich unheimlich stark. Es war absolut neu für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher