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Wenn der Hunger erwacht (German Edition)

Wenn der Hunger erwacht (German Edition)

Titel: Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
Autoren: Rhyannon Byrd
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1. KAPITEL
Es wird noch Zeit sein, es wird noch Zeit sein.
Das passende Gesicht aufzusetzen für die Gesichter, denen du begegnest.
T.S. Eliot
    Henning, Colorado, Freitagnachmittag
    Diese Frau würde nichts als Ärger bedeuten.
    Das war Ian Buchanan schon in der Sekunde klar, als er sie zum ersten Mal erblickte. Sie entstieg einem ziemlich mitgenommenen, von Staub bedeckten dunkelblauen Mietwagen. Er legte seinen Hammer hin und wusste es, während er beobachtete, wie sie auf ihn zukam. Vorsichtig bahnte sie sich ihren Weg durch das chaotische Gelände der Baustelle; ihre schmale Gestalt wurde dabei von der hinter ihr stehenden, drückend heißen Nachmittagssonne mit einem brennenden orangefarbenen Glühen umgeben.
    Und gleich die ersten Worte, die aus diesem geschwungenen roten Mund kamen – die Lippen glänzten süß, die Stimme war sanft, aber mit einer gewissen rauen Heiserkeit, sehr sexy –, bestätigten alle seine Befürchtungen.
    „Mr. Buchanan, mein Name ist Molly Stratton, und ich bin gekommen, um Ihnen … nun ja, ich weiß, das klingt völlig verrückt, aber Ihre Mutter Elaina hat mich gebeten, Sie zu finden.“
    Sie lachte nicht, während sie das von sich gab. Lächelte nicht einmal. Sie blickte bloß mit den größten braunen Augen zu ihm auf, die er je gesehen hatte. Und wartete.
    „Was Sie nicht sagen.“ Er ignorierte ihre kleine ausgestreckte Hand, schob sich die Sonnenbrille hoch ins Haar, griff nach der Bierflasche und nahm einen tiefen Schluck von seinem Coors. Der Glasrand der langhalsigen Flasche fühlte sich an seinen vom Schweiß salzigen Lippen kühl an, das Bier sogar noch kühler, als es langsam seine ausgetrocknete Kehle hinunterrann. Sie sah zu, wie er trank, die dunklen Augen auf seinen auf- und niederfahrenden Adamsapfel gerichtet. Ihre grazilen, von den Staubpartikeln wie mit Sommersprossen gefleckten Wangenknochen glühten leicht, die vollen Lippen waren ein ganz klein wenig geöffnet. Tief in Ians Bauch zog sich etwas zusammen. Das Blut floss ihm schwerer durch die Adern.
    Na sicher, nichts als Ärger, schon klar.
    Irritiert über sich selbst wegen dieser unmittelbaren Reaktion auf eine Frau, stellte er die Flasche mit deutlich vernehmbarem Aufschlag auf die Klappe der bejahrten Kühlbox und bekam aus den Augenwinkeln mit, wie sie bei dem lauten Geräusch zusammenzuckte.
    Sie war nervös – und offenkundig völlig verrückt. Entweder das, oder sie war eine erbärmliche Betrügerin, die glaubte, ihn ganz leicht reinlegen zu können.
    „Dann erzählen Sie mal, Schönheit“, ließ er gedehnt hören, wobei er gerade ausreichend Spott in seine tiefe Stimme legte. „Reden Sie öfter mit den Toten, oder ist das heute zufällig mein Glückstag?“
    Sie strich sich eine Locke ihres windzerzausten Haars hinters linke Ohr und hielt seinem Blick stand, ohne im Geringsten mit diesen langen dicken Wimpern über dem dunklen Zimtbraun ihrer Augen zu zucken. „Das tue ich tatsächlich. Wie oft, liegt allerdings an ihnen … nicht an mir.“
    Ian starrte sie bloß an, während diese merkwürdigen Worte durch sein Hirn hallten. Sie stand kaum einen Meter von ihm entfernt und blickte ihn auf eine gewisse Art an, die jeden Mann fesseln konnte; gleichzeitig schüchtern und direkt. Der heftige Wind, der von den Bergen Colorados herunterfegte, ruinierte ihre schulterlangen honigblonden Locken und wehte einen verführerischen Duft in seine Nase – und etwas Heißes rauschte durch sein Blut, wie ein inneres Brennen. Selbst ganz tief in seinem Inneren, in jenen vergessenen Regionen, wo alles immer ganz kühl und ruhig blieb … sogar leblos – wo nichts und niemand ihn noch berühren konnte –, spürte er einen unbehaglichen Funken aufflammenden Interesses.
    Schnell klappte Ian die Sonnenbrille runter auf die Augen, ergriff den Hammer und machte sich wieder an die Arbeit, um die Mauer abzustützen, die er soeben errichtet hatte. Er sah sie nicht mehr an, aber er spürte sie noch, eine ganz feine Anspannung, die mit schnellem bebendem Rhythmus zwischen ihren Körpern hin und her vibrierte.
    Was zum Teufel war das?
    „Ich weiß, das klingt, als wäre es unmöglich“, fügte sie hinzu, „aber es ist die Wahrheit.“
    Aber sicher, ganz bestimmt.
    „Für Leute wie Sie, Miss Stratton, muss es doch Medikamente geben, oder?“, fragte er mit dick aufgetragenem Sarkasmus, entschlossen, einfach alles zu ignorieren … die Hitze … diese verwirrenden Schweißperlen, die unter der feuchten Baumwolle seines
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