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Koks und Karneval

Koks und Karneval

Titel: Koks und Karneval
Autoren: Thomas Ziegler
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der Koffer!«
    »Hau ab, Susi! Los, hau mit dem Koffer ab!«
    Kaminski zog sich am Fahrplankasten hoch; die Schatten vor seinen Augen lichteten sich, und er konnte wieder klar sehen. Doch was er sah, ließ das Blut in seinen Adern gefrieren.
    Lorcaz kroch halb betäubt über den Boden und wurde von zwei Mäusen mit Fußtritten bearbeitet. Von hinten tauchte Kommissar Hubschmidt auf, der den Koffer sicherstellen wollte, aber mit Anna zusammenprallte und ebenfalls zu Boden ging. Die vierte Maus hatte sich wie ein wildes Tier in den Arm des vor Schmerzen winselnden Kollegen Weber verbissen. Ein paar Meter weiter kämpften der kleine Dicke und der Glatzkopf mit der schwarzhaarigen Hexe und wurden von ihr durch gezielte Schläge mit dem Besen in die Flucht getrieben. Die schätzungsweise hundert Schaulustigen, die sich in der Zwischenzeit eingefunden hatten, johlten und lachten und amüsierten sich großartig.
    »Der Koffer, Susi!« schrie die schwarzhaarige Hexe wieder. »Schnapp dir den Koffer!«
    Lorcaz schüttelte die Mäuse ab und streckte die Hand nach dem Koffer aus – doch einen winzigen Augenblick zuvor schloß sich eine andere Hand um den Koffergriff.
    Kaminski traf fast der Schlag.
    Die Hand gehörte der Blondine in der Clownsmaske, die schon den kleinen Dicken und den Glatzkopf beklaut hatte. Jetzt wollte sie auch noch den Kokskoffer stehlen!
    »Hände weg vom Koffer!« schrie er. »Ich sagte, Hände …«
    Lorcaz griff unter sein Jackett, riß eine Pistole hervor und schoß mit wutverzerrtem Gesicht in die Luft. Eine kleine Ewigkeit lang war es totenstill. Dann brach Panik aus. Die Menge spritzte auseinander. Die Leute kreischten und schrien, schoben und drängten, rannten blindlings in alle Richtungen davon. Einige strauchelten und stürzten, die anderen trampelten rücksichtslos über sie hinweg.
    »Oh, Scheiße, Scheiße, Scheiße!« sagte Kaminski verzweifelt.
    Er zog seine Dienstpistole und zielte auf den Kolumbianer, aber eine hysterisch schreiende Frau versperrte ihm das Schußfeld.
    »Auf den Boden!« brüllte er. »Verdammt, auf den Boden mit Ihnen!«
    Lorcaz schoß wieder. Die Kugel pfiff an Kaminskis Kopf vorbei und zersplitterte die Glasscheibe des Fahrplanaushangs. In der nächsten Sekunde rannte der Kolumbianer los und verschwand in der Menge.
    Kaminski fluchte und griff nach seinem Walkie-talkie.
    »Einsatzleiter an alle! Ich brauche sofort Verstärkung! Lorcaz schießt um sich, und jemand hat den Koffer geklaut. Die Beschreibung der Täterin …«
    Aus den Augenwinkeln sah er eine Bewegung. Er drehte sich und starrte in das höhnisch grinsende Gesicht der Hexe. Ihr Besen sauste nieder und traf ihn am Kopf. Er röchelte. Walkie-talkie und Dienstpistole entglitten seinen kraftlosen Händen, und der Boden kam rasend schnell auf ihn zu.
    Adolf Kaminski, dachte er, ehe der Aufprall alle Gedanken auslöschte, Adolf Kaminski, du bist im Arsch.

 
2
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    Um elf Uhr stand ganz Köln kopf. In Ehrenfeld stürmten die Wiever mit Enterhaken das Bezirksrathaus; in Sülz kidnappten die Walküren vom Kegelclub Schreihäls den Bezirksvorsteher und preßten ihm ein Faß Kölsch ab; im Justizpalast an der Luxemburger Straße tanzten Richter und Staatsanwälte im Punkerlook eine Polonaise durch die Gerichtskorridore; und selbst im Präsidium am Waidmarkt wurde in den Büros geschunkelt und gebützt, als gäbe es keine Verbrecher mehr, sondern ausschließlich Jecken auf der Welt.
    Nur im Chefbüro des Rauschgiftdezernats herrschte Grabesstille.
    Adolf Kaminski saß mit hängenden Schultern, höllischem Schädelbrummen und dickem Kopfverband vor Hauptkommissar Böcks wuchtigem Eichenschreibtisch und versuchte, sich mit der deprimierenden Tatsache abzufinden, daß er tatsächlich im Arsch war. Selbst wenn er noch irgendwelche Zweifel daran gehabt hätte – der Chef des Rauschgiftdezernats hatte sie nicht.
    »So, wie ich das sehe«, sagte Böck zum zehntenmal innerhalb von zehn Minuten, »sind Sie im Arsch. Sie sind im Arsch, Kaminski, und Sie wissen es. In meiner fast dreißigjährigen Laufbahn als Kriminalbeamter habe ich noch nie eine so dilettantisch vorbereitete und amateurhaft ausgeführte Operation erlebt wie dieses Desaster im Hauptbahnhof.«
    »So schlemm es et och ens widder nit, Schäff«, meldete sich Jupp Heppekausen zu Wort. »Jäje die jecken Wiever künne mer nix maache, un dä Spetzbov vun Lorcaz …«
    »Halten Sie sich da raus, Heppekausen!« schnappte Böck. »Die Lage ist viel schlimmer,
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