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Koks und Karneval

Koks und Karneval

Titel: Koks und Karneval
Autoren: Thomas Ziegler
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Spitzeln. Wahrscheinlich war das Haus bereits umstellt. Wahrscheinlich stürmte in diesem Moment ein Einsatzkommando die Treppen herauf. Wahrscheinlich …
    Stop! dachte Susi. Stop, stop, stop, stop! Reiß dich zusammen! Das sind bloß zwei stinknormale Streifenpolizisten, die darauf warten, daß ein Besoffener in die Blumenkübel kotzt.
    Die beiden Polizisten verschwanden in der Menge, aber die Paranoia blieb. Susi zog sich vom Fenster zurück und die Vorhänge zu.
    »Scheiße«, sagte sie, »ich glaube, ich drehe durch. Einen Moment lang hab’ ich gedacht, das Haus wäre umstellt.«
    »Nur keine Panik«, riet ihre Kusine Nina und schnupfte eine fingerdicke Linie vom Spiegel. »Au jau! Was für ein Stoff! Was für ein Super-Super-Superstoff! Kein Wunder, daß du durchdrehst. Ich kenne Leute, die waren schon so drauf, die haben in ihrer Paranoia die Tapeten von den Wänden gerissen, weil sie glaubten, das halbe Rauschgiftdezernat hätte sich dahinter versteckt.«
    Sie lachte glucksend.
    Susi fand das ganz und gar nicht komisch. Allein die vage Möglichkeit, daß sich irgend jemand hinter den Tapeten verstecken könnte, machte sie nervös. Mißtrauisch starrte sie die Tapete an. Lag es nur am unruhigen Muster, oder bewegte sich da tatsächlich etwas?
    »Was ist, wenn wirklich jemand hinter der Tapete steckt? Den Bullen ist alles zuzutrauen. Sogar im Klosettkasten könnte einer sitzen. Oder in der Besenkammer. Oder sonstwo. Rein theoretisch könnte überall einer sein.«
    Nina warf ihr einen schrägen Blick zu. »He, was ist? Rastest du aus oder was? Am besten setzt du dich auf die Couch und wartest ab, bis der Anfall vorüber ist. Du hast zuviel gekokst. Du darfst jetzt nichts Unüberlegtes tun, nichts, was du später bereuen könntest. Ich kenne Leute, die sind nach ’ner Überdosis aus dem Fenster gesprungen, weil sie sich vom Großen Kokskäfer oder sonstwem verfolgt gefühlt haben. Ich kenne sogar Leute, die wollten ihre Oma abstechen, und wenn du das tust, landest du garantiert in der Klapse. Entspann dich. Denk an was Nettes.«
    »An was Nettes?« Susi lachte hysterisch. »Scheiße, ich werde wahnsinnig, und du rätst mir, an was Nettes zu denken?«
    Sie ließ sich auf die Couch fallen und wartete auf ihren Tod, der in den nächsten Minuten unweigerlich eintreten mußte. Nina löffelte ungerührt ein neues Häufchen Koks auf den Spiegel und hackte es mit einer Rasierklinge fein.
    »In ein paar Minuten hast du alles überstanden«, versicherte sie zweideutig. »Vertrau mir. Ich kenne mich aus. Also entspann dich und denk an das viele Geld, das uns der Stoff bringen wird. Selbst wenn wir die drei Kilo zum Discountpreis verhökern, haben wir mindestens eine Viertelmillion im Sack. Eine Viertelmillion! Also, wenn das kein Grund zum Überleben ist, was ist dann noch ein Grund?«
    Susi nickte tapfer. Nina hatte recht. Eine Viertelmillion. Mindestens. In ein paar Tagen würden sie reich sein. Reich. Reich! Reich …
    Sie holte tief Luft.
    Es funktionierte! Der Gedanke an das viele Geld entspannte sie tatsächlich! Ihre Atemschwierigkeiten ließen nach, die Paranoia wich, und sogar der Spitzel im Klosettkasten verlor einiges von seinem Schrecken. Sie mußte nur stur weiteratmen. Ein und aus. Ein und aus. Reich sein. Nie mehr Schlangestehen im Sozialamt, nie mehr Ärger mit aufdringlichen Gläubigern, nie mehr Nervereien wegen der rückständigen Miete. Und vor allem keine Taschendiebstähle mehr. Statt im Kiosk an der Ecke anschreiben zu lassen, würde sie ein Leben in Luxus führen. Champagner und Kaviar zum Frühstück, Kaviar und Champagner zum Mittagessen und Champagner pur zum Abendbrot. Sonnenbaden in der Karibik, Skilaufen in Alaska und Joggen in Beirut. Das Ende aller Sorgen und Probleme …
    »Natürlich könnte es ein paar Probleme geben«, sagte Nina. »Man muß realistisch sein. Wir könnten sogar jede Menge Probleme kriegen. Schließlich sind die Bullen hinter uns her, nicht wahr? Und Gott allein weiß, was die Mafia mit uns macht, wenn sie uns erwischt!«
    Susi gurgelte. »Die Mafia? Was soll denn die Mafia von uns wollen? Wir haben ihr doch nichts getan!«
    Nina schenkte ihr einen mitleidigen Blick. »Manchmal bist du selbst für ein Landei reichlich naiv, Kusinchen. Natürlich war dieser Koffermann von der Mafia. Deshalb war der Bahnhof ja voller Bullen – die waren einem Riesendeal der Mafia auf der Spur, jede Wette. Tolle Leistung von dir, einem Mafiosi unter den Augen der Polizei drei Kilo Kokain
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