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Koks und Karneval

Koks und Karneval

Titel: Koks und Karneval
Autoren: Thomas Ziegler
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und sah so unbeschwert und glücklich aus, daß Petrus es als besonders bösartige Provokation empfand.
    Im Vorbeigehen versetzte er der Pappnase einen Tritt, und sie kippte in den Rinnstein.
    Etwas entspannter setzte er seinen Weg fort.
    Im Climax ging es hoch her. Ohrenbetäubend laute Karnevalsmusik dröhnte aus den offenen Fenstern und ließ noch die Scheiben der Häuser auf der anderen Straßenseite klirren. Die Kneipe war so überfüllt, daß es Stunden dauern würde, sich zur Theke vorzuarbeiten, aber nicht einer der Gäste war maskiert.
    Ein Plakat an der Tür löste das Mysterium: HEUTE KARNEVAL DER ZOMBIES – KEINE MASKEN, KEIN KOSTÜM, NUR IHR UND WIR!
    Bernie in diesem Gedränge aufzuspüren war völlig unmöglich. Außerdem bezweifelte Petrus, daß er sich ins Climax gewagt hatte. Seit er Bernie im vorigen Karneval tagelang in einer Streusalzkiste eingesperrt hatte, um ihn zur Zahlung seiner Schulden zu zwingen, litt jener unter Platzangst. In jeder Kneipe mit mehr als drei Gästen fürchtete er, zerquetscht zu werden.
    Petrus ballte die Fäuste.
    Wenn er diese miese kleine Laus in die Finger bekam, würde er sie tatsächlich zerquetschen. Niemand zockte Petrus ungestraft fünftausend harte Deutschmark ab.
    Vor allem kein durchgedrehter Doper, der sich mit windigen Versprechungen fünfundzwanzig Gramm auf Kommission ergaunerte, alles verkokste und anschließend völlig überschnappte.
    Petrus knirschte mit den Zähnen.
    Bernie Barnovic existiert nicht mehr, hatte Bernie ihm gesagt. Bernie Barnovics Geist ist fort, und sein Körper ist nun Heimstatt des namenlosen Marsianers, hatte Bernie gesagt. Und der namenlose Marsianer kann unmöglich für Bernie Barnovics Schulden aufkommen, hatte Bernie gesagt.
    Der namenlose Marsianer!
    Es war einfach nicht zu fassen.
    Entweder war es ein besonders dreister und dubioser Versuch, sich um die Bezahlung seiner Schulden zu drücken, oder Bernie war tatsächlich ausgeklinkt. Er wäre nicht das erste Opfer einer Kokainpsychose, aber Psychose hin oder her, Petrus wollte sein Geld, und ihm war es völlig egal, ob er die fünftausend Mark von Bernie Barnovic oder dem namenlosen Marsianer bekam.
    Der Gedanke machte ihn durstig, und obwohl das Linus an der Ecke Alteburger Straße mindestens so überfüllt war wie das Climax, bahnte er sich mit Ellbogenstößen und gezielten Fußtritten einen Weg durch die Menge. Ein häßlicher kleiner Kerl mit Micky-Maus-Ohren, Mäuseschwanz aus Plastik und käsegelbem Anzug machte den Fehler, seinen Platz an der Theke nicht sofort zu räumen. Petrus versetzte ihm ohne jede falsche Gefühlsduselei einen Boxhieb in die Nieren.
    Die Micky-Maus fuhr wütend herum. »He, was soll …«
    Petrus hob sie hoch, drehte sich um hundertachtzig Grad und stellte sie wieder ab. »Noch irgendwelche Fragen?«
    Die Micky-Maus schluckte.
    »Oder irgendwelche Beschwerden?«
    Der Micky-Maus fiel ein Ohr ab.
    »Also verzieh dich, du Nulpe!«
    Die Micky-Maus huschte davon und ließ ihr Ohr zurück.
    Petrus lehnte sich an die Theke, bestellte ein Kölsch und dachte über die erschreckende Falschheit der Menschen nach. Beim zweiten Kölsch sinnierte er bereits über die skandalöse Ungerechtigkeit des Lebens, und mit dem dritten Kölsch wandte er sich seinem Lieblingsthema zu, der erstaunlichen Sinnlosigkeit des Universums.
    In der feuchtwarmen, verräucherten Luft setzten seine Schweißausbrüche wieder ein, und auch der peinigende Juckreiz machte sich verstärkt bemerkbar. Er kratzte sich ausgiebig und mit Hingabe, aber ohne großen Erfolg.
    Phantastisch, dachte er verdrossen. Kokskäfer in der Arschfalte. Wer hat so was schon gehört?
    Er bestellte das nächste Kölsch, drehte der Theke den Rücken zu und warf einen finsteren Blick in die Runde. Das Linus war voller Clowns, Scheichs, Hasen, Katzen, Mäuse und Hexen, die sich mit dem üblichen Bodensatz aus Pappnasen und Karnevalshütchen mischten. Das einzige originelle Kostüm trug Linus, der grinsende Wirt, der eine Art Kugelkorsett mit rotem Stoff bespannt hatte und wie eine Killertomate aussah.
    Freudlos stürzte Petrus das Kölsch hinunter.
    Während er noch überlegte, ob er sich ein neues Bier bestellen oder seine Suche nach Bernie Barnovic in den umliegenden Kneipen fortsetzen sollte, sah er einen Gnom in einem viel zu großen grünen Trenchcoat an den Fenstern vorbeischleichen und nervös ins Linus spähen. Der Gnom trug eine Silberkappe mit armlanger Antenne auf dem Kopf, die bei jedem Schritt wild
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