Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Titel: Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
der Flur. Die Wände in der Küche waren neu tapeziert worden, nicht aber die Decke. Früher einmal musste auch hier alles ganz gleich gemustert gewesen sein. Ich überprüfte die Scheuerleiste an der Stelle, wo früher der alte Eiskasten gestanden hatte. In der Mauer darüber war die rechteckige Nische mit der kleinen Tür nach draußen, durch die der Eismann die Eisblöcke geschoben hatte. Das nächste Wandstück war glatt vom Boden bis zur Decke.
    Ich merkte, dass meine Aufmerksamkeit immer wieder zu dem Stück PVC-Tapete abschweifte, das sich über der Scheuerleiste abgelöst hatte. Ich beugte mich hinüber und schälte ein Eckchen ab. Darunter befand sich eine Rosenzweigtapete und eine Schicht tiefer wieder die mit dem Veilchenmuster. Ich bekam den untersten Rand der PVC-Tapete zu fassen und zog sie nach oben. Der Streifen machte ein saugendes Geräusch, rollte sich auf und nahm ein Stück von der Rosenzweigtapete mit. Die rostfarbenen Streifen schienen durch, graubraune Rinnsale, die sich durch ein Veilchenfeld schlängelten, stumpfbraune Spritzer, eingesickert in den darunter liegenden Putz. Das Blut war in hohem Bogen gespritzt und hatte alles durchtränkt. Da man vergeblich versucht hatte, es wegzuwaschen, war die erste Tapete mit einer zweiten überklebt worden. Und die zweite mit einer dritten. Ich fragte mich, ob die moderne Technik schon so weit war, um zwischen dem Blut hier und der Leiche im Sockel eine Verbindung herzustellen. Lottie war die Erste, die starb. Ihren Tod musste man einer natürlichen Ursache zugeschrieben haben, da sie bei den anderen beerdigt war. Emily musste die nächste gewesen sein, ihr hatten stürzende Ziegel den Schädel zermalmt. Und dann war Sheila an der Reihe gewesen, und man hatte eine hübsche Geschichte erfunden, um ihr Verschwinden zu erklären. Diesen Mord mussten Agnes und Irene beobachtet haben. Bronfen hatte die Geschichte von Sheilas Abreise im September wahrscheinlich erfunden.
    Agnes hatte viele Jahre lang im Exil gelebt und Irene beschützt. Was hatte sie wohl bewogen, das Haus noch einmal zu betreten? Vielleicht hatte sie gedacht, dass die Gefahr nach mehr als vierzig Jahren nicht mehr vorhanden war. Doch welchen Grund sie gehabt haben mochte, jetzt war auch sie tot. Und Patrick — der liebe Bruder Patrick — war der einzige Überlebende.
    Ich hörte die Haustür zufallen.

27

    Er stand in der Küchentür, eine braune Einkaufstüte im Arm. Er trug ein dunkelgrünes Sporthemd und Hosen aus Waschstoff; sein Gürtel saß unterhalb der Taille. Er keuchte vor Anstrengung, und sein Gesicht war mit Schweiß bedeckt. Sein Blick haftete auf der PVC-Tapete, die jetzt zusammengefaltet auf dem Boden lag. Er ließ die Augen die Wand hinaufwandern, wandte sich mir dann ruckartig zu und sah mich an. »Warum haben Sie das getan?«
    »Weil es Zeit ist, eine alte Sache zu bereinigen, mein Freund.«
    Er ging zum Küchentisch, setzte die Einkaufstüte ab, nahm ein paar Dinge heraus — Toilettenpapier, ein Dutzend Eier, ein Pfund Butter, einen Laib Brot — und legte sie auf den Tisch. Ich sah, dass er versuchte, eine bestimmte Haltung einzunehmen, den richtigen Ton zu finden. Er hatte diese Szene seit Jahren im Geist geübt, wahrscheinlich überzeugt, dass er sich diesem Gespräch mit absoluter Unschuldsmiene stellen konnte. Das Problem war, dass er vergessen hatte, wie ein Unschuldiger sich fühlte oder wie Unschuld aussah. »Was für eine alte Sache?«
    »Das viele Blut an der Wand, zum Beispiel.«
    Die Pause hatte die falsche Länge. »Welches Blut? Das ist ein Rotholzfleck. Ich habe ein Möbelstück für die Veranda gebeizt und die Kanne mit der Beize heruntergestoßen. Das Zeug ist überall hingespritzt, bis hinauf zur Decke. Das war vielleicht eine Schweinerei, so was haben Sie noch nie gesehen.«
    »Arterielles Blut verhält sich so. Es wird aus dem Körper herausgepumpt.« Ich marschierte über den zerknitterten Papierstreifen, der unter meinen Schuhen raschelte, und wusch mir die Hände unter der Wasserleitung.
    Er stellte eine halbe Gallone Eiscreme in den Gefrierschrank und schichtete ein paar Packungen Tiefkühlgemüse um. Er war aus dem Takt geraten. Ein geübter Lügner weiß, wie wichtig das richtige Timing ist, wenn er Lässigkeit Vortäuschen will.
    Ich trocknete mir die Hände an einem Küchenhandtuch zweifelhafter Herkunft. Es konnte ein Stock von einem Kissenbezug, ein Farblappen oder eine Windel gewesen sein. »Ich bin nach Mt. Calvary hinübergefahren und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher