Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Titel: Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
und öffnete sie einen Spalt. Ich musste mich räuspern und setzte darauf, dass dann meine Stimme einigermaßen normal klingen würde.
    »Ich schon wieder«, krächzte ich. »Dürfte ich reinkommen und auf Mr. Bronfen warten?«
    Das Alterchen legte einen knorrigen Finger an die Lippen und dachte über meine Bitte nach. Endlich nickte er und trat so unbeholfen von der Tür zurück, als würden seine Glieder wie bei einer Marionette von Drähten bewegt. Nach einem raschen Blick auf meine Uhr folgte ich ihm ins Haus. Ich hatte mich zwanzig Minuten im Schuppen aufgehalten. Mir blieb daher noch reichlich Zeit, falls ich mir selbst darüber klar wurde, was ich suchte.
    Der alte Mann hinkte zum Wohnzimmer. »Sie können sich hier reinsetzen. Ich bin Ernie.«
    »Freut mich, Sie kennen zu lernen, Ernie. Wohin ist Mr. Bronfen gegangen? Hat er Ihnen etwas gesagt?«
    »Nein, ich glaub nicht. Aber er kommt bestimmt auf direktem Weg wieder nach Hause. Dauert nicht lange.«
    »Hübsches Haus«, sagte ich und schaute ins Wohnzimmer hinein. Na bitte, ich schwindelte schon wieder. Das Haus war schäbig und roch nach gekochtem Kohl und vollgepinkelten Hosen. Die Möbel sahen aus, als stünden sie schon seit der Jahrhundertwende da. Die einst weißen Vorhänge hingen wie schlaffe Lappen herunter. Die Veilchentapete im Flur sah aus wie von Ungeziefer befallen. Klothilde hatte Glück gehabt, dass Bronfen sie nicht aufgenommen hatte.
    Links führte eine kahle Treppe in den ersten Stock. Ich sah ein Speisezimmer mit Reihen von Schmucktellern an der Wand. Weiter hinten kam ich an einer kleinen Tür vorbei, die wahrscheinlich in eine Vorratskammer unter der Treppe führte. Gegenüber lag die Kellertür. »Geht es hier in die Küche?«, fragte ich. »Ich muss mir die Hände waschen.« Aber ich redete mit mir selbst — Ernie war ins Speisezimmer geschlurft und hatte mich total vergessen.
    Die Küche war der Prototyp des »Vorher« in jeder Zeitschrift, die sich damit befasst, Häuser und Wohnungen umzugestalten. Arbeitsflächen mit gesprungenen Fliesen, schwarzweiße Bodenfliesen, braunes Holz, eine fleckige Spüle, ein tropfender Wasserhahn. Irgendjemand hatte den Versuch gewagt, den Raum zu modernisieren und fröhlicher zu gestalten. Die ursprüngliche Tapete war mit einer modernen PVC-Tapete überklebt: blassgrüne Früchte und Gemüse vermischt mit weißen und gelben Gänseblümchen. Über der Scheuerleiste hatte sich der PVC-Streifen gelöst und zusammengerollt. Ich warf einen Blick in die Speisekammer. Auf langen Regalen standen Büchsen mit Maisbrei und Erbsen. Ich ging hinein und spähte durch die halb geschlossene Tür in die Küche.
    Irene Bronfen war mit vier Jahren von hier fortgegangen. Ich hockte mich nieder. Meine Augen waren jetzt in gleicher Höhe mit der Türklinke. Es roch nach Ruß. Ich ging wieder in den Flur. Die Tür zum Vorratsraum unter der Treppe war abgesperrt. Ob Irene ihn wohl als Spielhaus benutzt hatte? Ich ging wieder in die Hocke und schaute nach links zur Küche. Nicht viel zu sehen von hier aus. Morde sind so oft rein häusliche Angelegenheiten. Häufig ist Alkohol im Spiel, und zwar bei mehr als sechzig Prozent der Fälle. Bei dreißig Prozent sind Messer die Mordwaffe, die es schließlich schon länger gibt als Schießpulver und die nicht registriert werden müssen wie Schusswaffen. Weil sie praktisch ist, ist heutzutage die Küche ein beliebter Platz für Verbrechen aus Leidenschaft. Man sitzt mit seinen Lieben da, holt sich Bier aus dem Kühlschrank, tut Eis in seinen Scotch. Machen Gatte oder Gattin dann eine vorlaute Bemerkung, kann das Wortgefecht eskalieren, bis einer in den Messerblock greift und die Auseinandersetzung gewinnt. Ich ging durch die Küche nach hinten. An der Rückseite des Gebäudes gab es eine geschlossene Holzveranda, unbehandelte Bretter und Latten, mit einer schon fast antiken Waschmaschine und einem Heißwasserboiler als einzigem Inventar; der Boiler sah viel zu klein und vergammelt aus, um die Bewohner mit genug Warmwasser versorgen zu können.
    Die vierjährige Irene war irgendwo in diesem Haus gewesen. Ich war bereit zu wetten, dass sie mit dem Teegeschirr gespielt hatte. Was hatte sie mir erzählt? Dass die Farbe an der Wand heruntergelaufen war und alle Veilchen zerstört hatte. Ich dachte an Irenes Phobien: Staub, Spinnen, enge Räume. An der Tür blieb ich stehen und blickte durch die Küche in den Flur. Die Decken waren hoch, mit dem gleichen Veilchenmuster tapeziert wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher