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Kinder

Kinder

Titel: Kinder
Autoren: Jürgen Seibold
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zurück?«
    »Was hat das denn in diesem Fragebogen zu suchen?«
    »Nein, nichts – das interessiert mich nur so.«
    »Na ja, die hatten ihr eine kleine Abfindung angeboten, wenn sie auf
ihren Anspruch auf eine Teilzeitstelle verzichtet. Und irgendwie hatte sie
ohnehin keine Lust mehr auf den Bürojob.«
    »Ah, gut«, meldete sich Michael zu Wort. »Das passt hier rein: Mama
hat also Spaß an ihrem jetzigen Beruf, ja?«
    Rainer Pietsch sah seinen Sohn verblüfft an.
    »Äh … ja. Und ich auch. Sollt ihr das da reinschreiben?«
    »Ja.«
    »Lass mal sehen«, sagte er und drehte das Blatt so, dass er es lesen
konnte. »Ausbildung und Beruf der Eltern«, las er, »Familienstand,
Wohnsituation.«
    Das Blatt war von Michael dicht beschrieben und die Schrift sah
auffallend ordentlich aus.
    »Du hast dir ja richtig Mühe gegeben«, lobte er ihn.
    »Na ja, die Moeller hat schon durchblicken lassen, dass wir uns
anstrengen sollen. Sie will viele Infos, wir sollen genau arbeiten und lesbar
schreiben – sonst müssen wir alles noch mal machen.«
    »Tja, wenn das so gut anschlägt bei dir, ist dagegen nicht viel zu
sagen«, grinste Rainer Pietsch.
    Michael brummte missmutig und wollte das Blatt wieder zu sich
herüberziehen.
    »Nein, lass mal, ich bin noch nicht ganz durch.«
    Michael hatte recht detailliert das Haus der Familie beschrieben, hatte
auch erwähnt, wann sie von ihrer Eigentumswohnung ein paar Straßen weiter
hierhergezogen waren.
    Der unterste Fragenblock war noch nicht beantwortet. Unter der
Überschrift »Gefühle« wurde hier unter anderem gefragt: »Lieben dich deine
Eltern? Liebst du deine Eltern?«
    Rainer Pietsch grinste.
    »Das will ich unbedingt lesen, wenn ihr es ausgefüllt habt.
Vielleicht kopier ich’s mir auch.«
    Dann fiel sein Blick auf die untere rechte Ecke des Blattes.
    »Wieso steht da Seite 5 von 5? Habt ihr noch mehr ausfüllen müssen?«
    »Ja«, sagte Sarah. »Eben noch die anderen vier Seiten – aber das
haben wir schon in der Schule gemacht.«
    »Aha, und worum ging’s da?«
    »Na ja, eigentlich so das Übliche: Ob wir Allergien haben, ob wir
eine Klasse wiederholt haben, in welchen Fächern wir unsere Stärken und unsere
Schwächen sehen, wer unsere besten Freundinnen und Freunde sind – so was halt.«
    »Und damit seid ihr in der Schule nicht fertig geworden, deshalb
müsst ihr den Rest zu Hause machen?«
    »Nicht ganz. Die ersten vier Seiten sollten wir unbedingt in der
Schule ausfüllen – diese Seiten hat der Moeller auch gleich eingesammelt.«
    »Seine Frau auch«, fügte Michael hinzu.
    »Manchmal bin ich ganz froh, dass ich nicht mehr zur Schule muss.«
    »Darf ein Vater so was eigentlich sagen?«, grinste Sarah.
    »Sollte er lieber nicht, was?«
    »Doch, doch, Papa«, lachte Michael. »Das werde ich mir merken!«
    Sarah und Michael beugten sich wieder über ihre Blätter und
schrieben weiter.
    »Sagt mal«, fiel Rainer Pietsch dann noch ein. »Sarah hat gesagt, es
ging eigentlich um das Übliche – ging es denn sonst noch um irgendwas?«
    Michael druckste herum.
    »Ach, so Themen wie …«, Sarah dachte kurz nach, »na: Ob ihr uns
manchmal noch in den Arm nehmt und so. Ob ihr euch noch küsst. Ob ihr nackt aus
der Dusche kommt, wenn wir euch sehen könnten. Voll peinlich fand ich das.«
    »Und das habt ihr beantwortet?«
    »Ist uns allen, glaube ich, nicht leicht gefallen. Aber der Moeller
ist dann durch die Sitzreihen gegangen und hat uns versichert, dass davon außer
ihm niemand etwas erfahren würde. Und dass das doch auch nichts sei, wofür man
sich schämen müsse. Schließlich sei es wichtig, dass man seine Gefühle auch
benennen und ausdrücken könne. Der hat gar nicht mehr aufgehört zu schwafeln.
Und als ich dann gefragt habe, ob man diese Felder auch frei lassen könne,
meinte er nur: ›Klar, lass sie frei – aber wer nichts zu verbergen hat, kann es
sich allemal leisten, alle Fragen zu beantworten.‹ Da habe ich mich dann nicht
mehr getraut und alles reingeschrieben.«
    »Alles?«
    »Na, dass ihr euch noch mögt, noch küsst und so. Das ist ja wirklich
kein Geheimnis, oder?«
    »Nein, eigentlich nicht. Und du, Michael?«
    »Och …«
    »Hm?«
    »Das ist doch voll peinlich, das alles. Aber bei uns hat die Moeller
auch nicht locker gelassen. Hat davon erzählt, dass gerade Jungs mit offenen
Antworten auf solche Fragen beweisen könnten, dass sie starke Charaktere sind –
solches Zeug halt.«
    »Und was hast du dann geschrieben?«
    »Dass ihr mich
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