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Kinder

Kinder

Titel: Kinder
Autoren: Jürgen Seibold
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das geschlungene Ende des Seils in die
linke Hand, ließ das andere Ende, an dem ein Haken befestigt war, einige Male
kreisen, dann flog der Haken hinauf und blieb gleich beim ersten Versuch an
einer der Vorrichtungen hängen, die über die Decke der Aula verteilt waren. Franz
Moeller tat es ihr gleich. Dann ließen beide die Seile lose baumeln und gingen
nach hinten, um weitere Seile zu holen.
    Einige Kinder kamen hinzu und boten ihre Hilfe an. In einer
Atmosphäre gespenstischer Ruhe wurde Seil um Seil an der Decke befestigt.
    »Da hängen Seile!«, rief eine Mutter, die sich neben eines
der Fenster der Aula gehockt hatte und versuchte, durch die Schlitze zwischen
den Vorhängen irgendetwas zu erkennen.
    »Gehen Sie da weg«, sagte Frido Hässler. »Die Polizei muss jeden
Moment da sein.«
    »Aber wir können doch nicht einfach hier stehen und abwarten, was
die mit unseren Kindern machen!«, rief ein Vater und redete sofort auf einige
umstehende Männer ein, dass sie ihm helfen sollten, die Aula zu stürmen.
    »Bitte, bewahren Sie Ruhe – das ist kein echtes Feuer, und die Seile
müssen nichts bedeuten!«
    »Es werden immer mehr Seile aufgehängt«, rief die Mutter von vorhin
nun. »Und diese Seile haben Schlingen am unteren Ende!«
    Ein Raunen ging durch die Menge auf dem Schulhof, und Rektor Wehling
drängte sich durch die Menge auf das Schulgebäude zu. Auf der Treppe wandte er
sich um und forderte die anderen auf, ihm zu folgen. Offenbar setzte ihm sein
schlechtes Gewissen so sehr zu, dass er nun doch endlich selbst etwas
unternehmen wollte.
    Unter wütenden Rufen begann sich die Menge einen Weg in die Aula zu
bahnen. Die innere Tür war jedoch abgeschlossen.
    Franz und Rosemarie Moeller sahen mit Genugtuung, wie sich
gut ein Dutzend ihrer Schüler ebenfalls Kastenelemente heranzogen und sie unter
die baumelnden Seilschlingen stellten.
    Von draußen her waren Rufe zu hören, und jemand versuchte offenbar,
die Tür einzutreten. Den einzelnen Mann, der sich von der Rückseite des
Gebäudes her in eine der Gerätegaragen geschlichen hatte, bemerkte niemand.
    »Auch diesmal wollen eure Eltern verhindern, dass ihr an euren
Aufgaben wachst«, deklamierte Franz Moeller, und sein flackernder Blick begann
die ersten Schüler in der Aula abzuschrecken. »Aber das werden wir nicht zulassen!«
    Er hatte draußen an der Treppe seiner Frau zugeraunt, dass der
Vorsitzende seinen Helfer geschickt hatte – und dass sich ihnen nur noch eine
letzte Möglichkeit bot, der vermutlich schrecklichen und schmerzhaften Strafe
durch ihn zu entkommen. Nun wollten sie wenigstens dafür sorgen, dass ihre Lehrerfolge
in den Schülern fest verankert blieben – und ein Trauma konnte das bewirken,
daran ließ die theoretische Schulung der Lehrer durch Paedaea keinen Zweifel.
    Und dass einige ihrer Schüler so von ihnen eingenommen waren, dass
sie nun sogar mit ihnen in den Tod gehen wollten, konnte die Wirkung auf die
anderen nur verstärken.
    Lächelnd sah Franz Moeller in die Runde und legte sich die Schlinge
um den Hals.
    Die aufgebrachten Eltern stauten sich vor der
verschlossenen Innentür, aber sie war fest verriegelt und hielt auch den
Schlägen und Tritten stand. Plötzlich gab die Tür doch nach, sie schwang auf
und Sarah, Sören und Hendrik, die sie von innen geöffnet hatten, konnten gerade
noch zur Seite springen, um den in blinder Panik hereinstürmenden Eltern auszuweichen.
    Franz und Rosemarie Moeller standen auf einigen Kastenelementen,
Schlingen um den Hals, und blickten verärgert auf, als fänden sie die Störung
einfach nur ungehörig.
    Doch die Eltern kümmerten sich nicht weiter um die beiden Lehrer und
drängten sich zu den Schülern hin. Sie umarmten ihre Kinder und hielten
diejenigen auf, die sich gerade ebenfalls Schlingen um den Hals legen wollten.
Dann zogen und schoben sie die Kinder und Jugendlichen hinaus aus der Aula, um
sie auf dem Schulhof tränenreich in die Arme zu schließen.
    Drinnen standen nun nur noch Franz und Rosemarie Moeller und sahen
traurig zu der offen stehenden Tür. Rosemarie Moeller spürte eine tiefe Leere,
und sie horchte hoffnungsvoll, ob sich nicht doch einzelne Kinder von den
Erwachsenen losrissen und wieder zu ihr und ihrem Mann heruntergerannt kämen.
    Sie lauschte, doch das Einzige, was sie hörte, war ein Knacken neben
sich. Sie wandte den Kopf und sah ihren Mann leblos im Seil hängen, die Beine
leicht eingeknickt auf dem Kastenelement ruhend.
    Dann trat der Mann im Mantel auch
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