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Kinder

Kinder

Titel: Kinder
Autoren: Jürgen Seibold
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Frido
Hässler aufs Podium und drängte Wehling beiseite. Der Rektor sah ihn noch
flehend an und schüttelte den Kopf, aber Hässler ließ sich nicht stoppen.
    »Liebe Eltern, bitte bewahren Sie Ruhe – wir brauchen Ihre
Unterstützung!«, rief Hässler. »Herr und Frau Moeller wollten Ihnen vorführen,
wie vernünftig Ihre Kinder inzwischen auch mit gefährlichen Situationen umgehen
können. Dazu haben Sie Ihre Kinder in die Aula gelockt – und dort haben sie
alles vorbereitet, um einen Brand vorzutäuschen.«
    Weitere Rufe wurden laut.
    »Bitte, meine Damen und Herren! Falls Sie gleich irgendwo Rauch
aufsteigen sehen, vergessen Sie bitte nicht: Es ist nur ein vorgetäuschter
Brand! Ihre Kinder schweben nicht wirklich in Gefahr!«
    Hässler versuchte überzeugend zu wirken, dabei hatte er ernsthafte
Zweifel, ob das auch noch galt, nachdem seine Kollegen ganz offensichtlich
ihren Plan geändert hatten. Er zog sein Handy aus der Tasche, tippte die Notrufnummer
ein und alarmierte die Rettungskräfte.
    »Rauch! Rauch!«, schrie jemand, und tatsächlich drangen erste
Schwaden aus zwei gekippten Oberlichtern der Aula auf den Schulhof heraus. Von
innen waren Mattenwagen zu den Fenstern geschoben worden, und jemand hatte die
Vorhänge zugezogen. Nur durch wenige Schlitze konnte man die Decke der Aula und
die daran befestigten Halterungen für verschiedene Turngeräte sehen, die
Menschen in der Aula waren durch die Mattenwagen vor den Blicken vom Schulhof
aus geschützt.
    Alle Augen richteten sich nun auf die Fenster, sodass der Mann im
Mantel den Schulhof unbeachtet verlassen konnte. Er beeilte sich, um über die
umliegenden Gehwege die Rückseite des Schulgebäudes zu erreichen.
    »Liebe Schüler«, begann Franz Moeller und sah zufrieden
auf die zahlreichen Kinder und Jugendliche, die der Aufforderung seiner Frau
gefolgt waren und sich hier in der Aula versammelt hatten, »eigentlich wollten
wir hier in diesem Raum euren Eltern demonstrieren, wie reif ihr schon seid,
wie gut ihr mit schwierigen Situationen zurechtkommt – und dass wir schon jetzt
vieles bedenkenlos in eure Hände legen könnten.«
    Sein Publikum aus Sechst-, Siebt- und Neuntklässlern sah gebannt zu
ihm hin, wie er da auf einem Kastenelement leicht erhöht vor ihnen stand und
beide Hände hinter seinem Rücken verschränkt hielt. Die neunte Klasse war bis
auf zwei Kinder komplett anwesend: Sogar Sarah Pietsch stand zu Moellers
Überraschung mitten unter ihren Schulfreundinnen. Sie schaute zwar feindselig,
aber sie war gekommen. Als seine Frau die Tür der Aula ins Schloss fallen ließ,
bemerkte Moeller neben ihr noch zwei Neuntklässler, die er ganz sicher nicht
hier erwartet hatte: Hendrik und Sören bahnten sich einen Weg durch die anderen
Schüler und blieben schließlich neben Sarah stehen.
    Egal, dachte Franz Moeller. Was sollen sie jetzt noch gegen mich
ausrichten? Dann holte er wieder tief Luft und gab seiner Stimme einen
möglichst vollen Klang: »Aber eure Eltern haben erneut nicht verstanden, was
wir mit euch vorhaben – was wir für euch planen und wie alle Welt von euch und
eurer Generation profitieren kann. Ihr seid unsere Zukunft!«
    Er deklamierte den letzten Satz und strecke beide Arme aus, als
wolle er die Anwesenden umarmen – in seiner rechten Hand baumelte ein langes
Seil, das er bisher hinter seinem Rücken verborgen hatte. Einige Kinder
blickten inzwischen fast schon fiebrig zu ihm hinauf, alle anderen hörten
zumindest gespannt zu – nur Sarah und ihre beiden Klassenkameraden fixierten
ihn mit ablehnenden Blicken.
    Rosemarie Moeller trat neben ihren Mann auf das breite
Kastenelement, und auch sie hielt ein Seil in der Hand, das an einem Ende in
einer Schlinge endete. Einige der Kinder sahen sich erschrocken um, die ersten
bemerkten den Rauch, der aus einem der Geräteräume in die Aula drang.
    »Ihr müsst keine Angst haben«, beruhigte Franz Moeller sie. »Das ist
kein richtiges Feuer – wir haben nur einige Rauchkörper dort drüben deponiert.
Damit wollten wir einen Brand simulieren. Draußen wussten alle Bescheid, und
ihr hier drin solltet zeigen, wie gut ihr mit der Situation umgehen könnt.
Damit endlich alle Erwachsenen begreifen, was jetzt schon in euch steckt!«
    Er wurde immer pathetischer, aber keines der Kinder in der Aula
reagierte spöttisch, fast alle hingen gebannt an Moellers Lippen. Sarah sah
sich um: Die beiden Lehrer hatten in diesem Schuljahr tatsächlich ganze Arbeit
geleistet.
    Rosemarie Moeller nahm nun
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