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Kinder

Kinder

Titel: Kinder
Autoren: Jürgen Seibold
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schwächeren
Mitschüler auszugrenzen und zu mobben, zu verprügeln und wie in Kevins Fall
sogar die Mitschuld an ihrem Tod zu tragen.«
    »Frau Weber, bitte!«, wandte Wehling ein, der inzwischen vor dem
Mikrofon angekommen war. »Das sind doch alles haltlose Anschuldigungen! Das
hatten wir doch alles schon!«
    »Eben«, schimpfte Ursel Weber weiter, »das hatten wir schon – und es
ist wahr. Benjamin hat mir erzählt, wie Rosemarie Moeller ihm und seinen drei
Freunden erst verboten hatte, Kevin zu ärgern – er sei für die vier kein würdiger
Gegner, so etwa drückte sie sich aus. Daraufhin knöpften sie sich Lukas Pietsch
vor. Und schließlich, als Rosemarie Moeller der Klasse klarmachte, dass künftig
wegen der Elternproteste alle Kinder gleich behandelt würden, fiel Kevins
Sonderrolle weg – und damit auch sein Schutz durch die Lehrerin.«
    »Das ist doch alles konstruiert!«, rief Franz Moeller von der Treppe
herüber. Seine Frau stand stumm am Fuß der Treppe und sah Ursel Weber
hasserfüllt an.
    »Und«, fuhr Ursel Weber fort, »eines Tages erklärte sie Benjamin und
seinen Freunden, dass schwache Kinder wie Kevin letztendlich nur die Klasse
aufhalten und verhindern würden, dass die anderen so zügig vorankämen, wie es
ihren Fähigkeiten entspräche. Als sie dann davon erfuhr, dass sich die vier
Kevin und Lukas ab und zu vornahmen, ließ sie durchblicken, dass sie das
durchaus in Ordnung fand.«
    »Das können Sie niemals beweisen!«, rief Franz Moeller.
    Seine Frau stand nicht mehr an ihrem alten Platz, ein Stück entfernt
kam Bewegung in die Menge. Rainer Pietsch, der befürchtete, Rosemarie Moeller
mache sich aus dem Staub, besprach sich kurz mit Achim Weber, und die beiden
Männer eilten vom Podium zu den Ausgängen des Schulhofs, um der Lehrerin den
Weg abzuschneiden.
    Doch Rosemarie Moeller wollte nicht fliehen, sie hatte den Schülern
der drei Klassen, die sie unterrichtete, etwas zugeflüstert und sprach nun mit
einigen Jugendlichen aus einer der Klassen ihres Mannes.
    »Sie haben es uns selbst gesagt!«, meldete sich Annette Pietsch zu
Wort. »Rektor Wehling haben Sie vorgespielt, dass Sie mit uns einen Kompromiss
finden wollten und dass wir Quertreiber seien – und als er den Raum verlassen
hatte, legten Sie Ihre Maske ab und sagten uns, dass Kevins Tod im Grunde
genommen ganz in Ihrem Sinne sei.«
    Rektor Wehling sah verblüfft zu Franz Moeller hinüber, der Kollege
machte keine Anstalten, sich zu verteidigen. Stattdessen strömten immer mehr
Schulkinder über die Treppe zu ihm hinauf, an ihm vorbei und hinein ins Schulgebäude.
Ohne auf das Gesprochene einzugehen, drehte er sich zum Publikum und sagte mit
lauter Stimme: » Ursprünglich wollten wir Ihnen an dieser Stelle demonstrieren,
wie weit wir Ihre Kinder in ihrer Entwicklung zum selbstbestimmten,
zielstrebigen Menschen gebracht haben. Diese Demonstration werden wir nun …«
    Sein Handy klingelte, und er unterbrach sich mitten im Satz.
Irritiert zog er das Handy hervor und sah auf das Display. Der Klingelton war
für den Vorsitzenden reserviert, aber dessen Nummer war auf dem winzigen Handymonitor
nicht zu sehen. Er blickte um sich, als suche er jemanden, und sein Blick
wirkte ängstlich. Dann entdeckte er den nahe beim Schulhaus stehenden Mann im
Mantel. Der Mann nahm sein Handy vom Ohr und machte mit der flachen rechten
Hand eine kurze waagrechte Bewegung, als sei das Maß voll, als sei es nun
genug. Franz Moeller schluckte, sah den Mann fast flehend an, aber der
schüttelte nur kurz den Kopf. Und bevor ihn noch jemand anderes bemerken
konnte, war der Mann schon wieder untergetaucht.
    Franz Moeller steckte sein Handy weg.
    »Wir werden unsere Demonstration ein wenig anders inszenieren als
ursprünglich geplant«, rief er und schien es nun sehr eilig zu haben. »Herr
Wehling kann Ihnen zumindest sagen, was wir vorhatten – den Rest erleben Sie ja
dann gleich selbst mit.« Er deutete auf den Rektor, der ein wenig überrumpelt
schien. »Leben Sie wohl!«, rief er noch und schlüpfte mit seiner Frau, die
hinter den letzten hinaufeilenden Schülern die Treppe erklommen hatte, ins
Schulgebäude. Dann fiel die Tür ins Schloss, und alle sahen zu Johannes Wehling
hin.
    »Meine Damen und Herren«, begann der Rektor vorsichtig, und schien
dabei fieberhaft zu überlegen, was er nun eigentlich sagen sollte. »Bitte
bleiben Sie ruhig, es besteht kein Grund zur Sorge.«
    Empörte Rufe waren aus der Menge zu hören, und schließlich kam
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