Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gut genug - Erzählung

Gut genug - Erzählung

Titel: Gut genug - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
Vom Netzwerk:
Erst hatte ich kein Kind.
    Ich wollte keins.
    Dann hatte ich eins.
    Gut.
    Gut?
    Mein größtes Problem war, am Leben zu bleiben.
    Sie lachen, aber das ist kein Witz.
    Manchen Leuten gelingt es, am Leben zu bleiben, vielen gelingt es nicht.
    Als ich schwanger war, dachte ich, das Risiko ist, daß du vorher stirbst, also Selbstmord, Suff, Unfall und Krebs. Bei Weltuntergang kannst du nichts machen. Es war vielleicht nicht gerade ein mütterlicher Gedanke. Aber vielleicht war es auch ein mütterlicher Gedanke. Ich weiß nicht genau, was das ist. Bis heute. Mit Vorhersterben habe ich gemeint, bevor dieses Kind dann groß wäre, also groß genug, um damit klarzukommen. Wenn sie noch zu klein sind, denken sie, sie hätten es selbst gemacht, daß man stirbt. Sie denken, sie sind allmächtig, und dann kommen sie nicht damit klar. Natürlich nicht. Also kein Selbstmord Suff Unfall und Krebs. Mehr kann ich dir nicht versprechen. Man hat am Leben zu sein, bis das Kind merkt, der Haß reicht nicht aus, um einen leibhaftig umzubringen.
    Die siebziger Jahre waren um. In den siebziger Jahren war es eine Zeitlang Mode gewesen, Kinder zu kriegen. Das hörte dann wieder auf. Eine Weile lang war alles mögliche psychosomatisch. Manches bloß simuliert. Die meisten Kinder, die ich kannte, waren gräßlich, aber ich kannte im Grunde keine. Wenn man keine Kinder hat, kennt man keine Leute mit Kindern und folglich auch keine Kinder, aber manchmal sieht man welche oder hört sich Geschichten an. Ich hatte keine Lust, Leute mit Kindern zu kennen, ich habe bis heute keine Lust, Leute mit Kindern zu kennen, weil sie Leute mit Kindern sind und also Kinder haben, aber das hilft nunmal nicht. Vermutlich ist es das Statistische Bundesamt oder das Arbeitslosigkeitsamt in Nürnberg, wo die Mode erfunden wird, dann kriegen plötzlich alle ein Kind, und ein paar Jahre später ist es vorbei. Nur die, die es dann immer noch nicht begriffen haben, kriegen zwei oder drei. Vielleicht ist es auch das Verfassungsamt. Herrschaft. Und Reproduktion. Wobei Reproduktion heißt: das Kinderkriegen. Irgendein Trick ist dabei, alle fallen drauf rein, nur weißt du nicht, wie du durchkommst. Man kann sie auch nicht second hand weggeben, weil die Mode im nächsten Jahr wechselt und man sich nicht mehr erinnert, wieso man sie mitgemacht hat. Die meisten Zweitkinder entstehen vielleicht aus Verzweiflung.
    Als ich schwanger war, dachte ich, doch mal sehn, ob wir das nicht schaffen, obwohl ich mir nicht so sicher war. Zu der Zeit hatten es viele auch ohne Kinder schon nicht geschafft. Selbstmord Suff Unfall und Krebs, ich könnte sie herzählen, beide Hände reichen dafür nicht aus, später kam auch noch Aids. Erstaunlich viele haben sich vom Balkon gestürzt und ein paar auch im Wald erschossen. Und Motorradunfälle. Heroin hätte ich fast vergessen. Mit Kindern, wie gesagt, kannte ich keine. Als ich schwanger wurde, war Kinderkriegen nicht sehr in Mode. Ein paar Jahre später kam es wieder in Mode. Jetzt ist es, glaube ich, auch gerade wieder in Mode.
    Ich war mir nicht sicher, ob ich es schaffe, lebend da durchzukommen.
    Die Schwangerschaft über habe ich mir Monat für Monat beim Arzt auf die Hände gepißt, anstatt in den Kaffeeautomatenbecher hineinzutreffen, jedesmal eine Sauerei, bis so viel Urin drin war, daß sie feststellen konnten, wieviel vorgeburtlicher Eisenmangel, anfangs bin ich wütend gewesen, daß sie es wirklich am Ende dieses erfinderischen Jahrhunderts noch nicht zuwegegebracht haben, etwas zu konstruieren, wo man problemlos hineinpinkeln kann, ohne sich auf die Hände zu pissen, aber mit der Zeit hat es mich kläglich gemacht. Einen Knacks gibt das. Wobei Reproduktion heißt: die Wiederholung. Es hat dann noch mehrmals geknackst, bis mir aufgefallen ist, daß das der Sinn ist. Nicht die Absicht, aber der Sinn. Aber vielleicht auch die Absicht.
    Wenn ich mir genau überlege, warum ich das Kind gekriegt habe: ich hatte ein bißchen Kraft drüber. Die siebziger Jahre waren vorbei, und viele, die vorher etwas großspurig und über Zimmerlautstärke der Welt die Welt erklärt hatten, fingen an, sich die Ohrringe aus den Ohren zu nehmen und irgendwo möglichst weit oben unterzukommen. Viele waren auch tot, nur der Rest hatte es noch nicht begriffen, weil es natürlich eine Frage der Intelligenz ist, sonst nichts.
    Oder?
    Ich hatte ein bißchen Kraft drüber und wußte nicht recht, wohin damit. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, aber wenn man zuviel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher