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Kinder

Kinder

Titel: Kinder
Autoren: Jürgen Seibold
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natürlich noch in den Arm nehmt. Dass ich mich, als
ich mir in den Ferien das Knie aufgeschlagen hatte, auf deinen Schoß setzen und
heulen durfte. Und dass ich weiß, dass du davon nie jemandem erzählen würdest.«
    »Das stimmt ja auch alles.«
    »Ja. Aber ich hoffe echt, dass die Moeller das wirklich für sich
behält. Wenn das die anderen Jungs zu lesen kriegen, bin ich geliefert.«
    »Typisch!«, neckte ihn Sarah. »Sonst hast du keine Sorgen, was?«
    Minuten später beruhigte sich das typische abendliche Gekabbel unter
Geschwistern, als die Familie vor vollen Tellern saß und sich das Abendessen
schmecken ließ.
    Im Lehrerzimmer herrschte der übliche Trubel. Von draußen
lärmten die vertrauten Pausengeräusche herein, die Tür zum Flur hinaus öffnete
sich, wurde zugeschlagen, wieder aufgerissen.
    »So«, schnaufte Jörg Zimmermann, zog sich das Kordjackett aus und
ließ sich schwer in seinen Stuhl fallen, »zwanzig Minuten Pause.«
    Neben ihm putzte sich Frido Hässler die Nase, um den strengen Geruch
loszuwerden, den Zimmermanns Jackett ausströmte. Als er fertig war, musste er
einsehen, dass er nichts gewonnen hatte: Zimmermann klappte eine Plastikdose
auf und Aromen von Leberwurst und sauren Gurken mischten sich in den
Schweißgeruch.
    »Und? Schon wieder schlapp?«
    Zimmermann brummte etwas und biss ein großes Stück von seinem
Wurstbrot ab. Auch ohne sein Gegenüber Hannes Strobel anzusehen, wusste er,
dass der Kollege spöttisch grinste. Strobel, Sport und Mathe, war sehr zufrieden
mit sich. Und daraus, dass er den am großen Tisch ihm gegenübersitzenden
Zimmermann, Deutsch und Geschichte, für eine Flasche hielt, hatte er noch nie
einen Hehl gemacht.
    »Ach, Strobel, du hast doch keine Ahnung«, brachte Zimmermann
resigniert zwischen zwei Bissen hervor. »Ich sag nur: neunte Klasse,
Argumentation und Erörterung.«
    »Ja, und? Bei mir sind die alle auf Zack!«
    »Klar, wenn ich die Kurzen erst einmal ein paar Runden im Kreis
rennen lassen könnte, hätte ich auch meine Ruhe.«
    »In Mathe rennt bei mir niemand, Zimmermann«, brauste Strobel auf.
»Disziplin ist Kopfsache!«
    Zimmermann freute sich, dass er wie jedesmal den richtigen Knopf
gefunden hatte, um den Kollegen an die Decke gehen zu lassen. Das war auch
nötig, denn dass Strobel mit seinen Schülern besser zurechtkam als er, machte
ihm durchaus zu schaffen.
    »Brauchst gar nicht so dämlich zu grinsen, mein Lieber«, brummte
Strobel. »Nimm dir lieber ein Beispiel an unseren Neuen.«
    Zimmermann verschluckte sich, hustete, rang nach Luft. Hässler
klopfte ihm im Reflex ein paarmal auf den Rücken.
    »Lass das, Hässler«, rief Strobel, »das macht es nur noch schlimmer.
Das solltest du eigentlich wissen.«
    Hässler, Biologie und Erdkunde, kümmerte sich nicht weiter um
Strobel.
    »Geht’s wieder?«, fragte er schließlich, als sich Zimmermann
leidlich beruhigt hatte.
    Zimmermann nickte und wischte einige Brotbrösel von der Tischplatte.
Dann zog er eine kleine Plastikflasche aus der Tasche und nahm einen kräftigen
Schluck.
    »Vielleicht solltest du da mal lieber einen ordentlichen Klaren
reinkippen«, höhnte Strobel, »und nicht immer nur dieses labbrige
Saftschorlezeug. Vielleicht würde dich das etwas ruhiger machen.«
    »Musst du dich nicht schon mal aufwärmen«, fragte Hässler in
scharfem Ton, »damit du in der Turnhalle überhaupt noch mit den Kids mithalten
kannst?«
    Strobel schnaubte, stand dann aber wortlos auf und ging zur
Kaffeemaschine hinüber.
    »Danke«, keuchte Zimmermann und räusperte sich.
    »Ach, dieser Strobel«, winkte Hässler ab. »Weißt du, Jörg, um den
solltest du dich gar nicht kümmern. Zu viele Kopfbälle, nehme ich an«, lachte
er und brachte Zimmermann immerhin zum Lächeln.
    »Aber diese Neunte macht mich echt fertig«, sagte Zimmermann dann
und wurde wieder ernst. »Die tanzen mir total auf der Nase rum.«
    »Vielleicht solltest du …« Hässler brach mitten im Satz ab, eine
Hand hatte sich schwer und kalt auf seine linke Schulter gelegt.
    Zimmermann sah zu Hässler, dann fiel ihm der Kollege hinter Hässler
auf: Es war der Neue, der mit besorgt wirkendem Blick auf die beiden Lehrer
heruntersah und trotz der Wärme im Zimmer seinen üblichen grauen Mantel trug.
Zimmermann fröstelte und griff nach seinem Jackett.
    »Wenn ich helfen kann«, sagte Moeller mit leicht schnarrender
Stimme, »lassen Sie es mich bitte wissen.«
    »Ja, ja, mach ich«, brachte Zimmermann noch hervor, »aber ich muss
jetzt
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