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Gefällt dir, was du siehst?

Gefällt dir, was du siehst?

Titel: Gefällt dir, was du siehst?
Autoren: Alex Bernhard
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Eins
    Ich wusste vom ersten Moment, dass sie uns ihren wahren Namen verschwiegen hatte. Ich erzählte niemandem davon; meine Kollegen hätten mich für verrückt gehalten. Unser Personalleiter hätte den besorgten Blick aufgesetzt, für den er bekannt ist, und mir einen Vortrag über üble Nachrede, Mobbing oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gehalten … nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge. Und zu meiner Chefin wollte ich mit diesem Verdacht erst recht nicht gehen. Was hätte ich ihr auch sagen können? „Frau Dr. Rothloff, Ihre neue Sekretärin ist nicht die, für die Sie sie halten.“ Nein, es war besser, ich behielt mein Wissen für mich. Es ging mich strenggenommen auch nichts an, dass Saskia Groß eigentlich auf den Namen Große Schwierigkeiten hören sollte, der in großen Leuchtlettern über ihrem Kopf erstrahlte, wann immer ich sie sah.
    Saskia Groß arbeitete im Vorzimmer von Frau Dr. Rothloff, deren geschmackvoll eingerichtetes Büro mit dem herrlichen Panoramablick vier Stockwerke über der Großraumhölle liegt, in der ich seit zehn Jahren den Großteil meines Lebens verbringe. Ich will mich nicht beschweren: Mein Job bei Rothloff International gefällt mir. Ich arbeite in der Auftragsannahme und bin inzwischen für zwölf Sachbearbeiter zuständig. Etwa die Hälfte davon sind Damen „mittleren Alters“, wie sie selbst sagen würden – ich nenne sie insgeheim meine Angestaubten. Sie bewegen sich täglich routiniert von halb neun bis halb sechs auf das Rentenalter zu, das sie alle in wenigen Jahren erreichen werden. Die Angestaubten und ich wissen, was wir aneinander haben: Sie liefern zuverlässige Arbeit, ich lasse sie weitestgehend in Ruhe, spendiere einmal im Quartal Kaffee und Kuchen und lasse mir am Altweiberkarneval unter lautem Gejohle von Hedi aus Köln die Krawatte abschneiden, die ich extra für diesen Tag in einem Secondhandladen für ein paar Euro kaufe. Auf dem großen Betriebsfest, das einmal im Jahr stattfindet, treffe ich die Ehemänner der Angestaubten, deren Bierbäuche auf ihre ganz eigene Art mit den Schlupflidern und praktischen Frisuren meiner Mitarbeiterinnen harmonieren. „Ohne Ihre Frau würde es hier drunter und drüber gehen“, lobe ich dann in alle Richtungen und ernte dafür zustimmendes Nicken.
    Manchmal bin ich ein bisschen neidisch auf diese Beziehungen, auf Menschen, die seit über 30 Jahren miteinander auskommen. Die gemeinsam Höhen und Tiefen erlebt haben und sich immer noch bei der Hand nehmen, wenn sie um kurz vor Mitternacht mehr oder weniger beschwipst das Fest verlassen. (Hedi schwankt jedes Mal sehr deutlich, was ich einerseits stillos finde – auch eine Feier ist eine Betriebsveranstaltung –, andererseits aber auch auf eine irritierende Art sympathisch. „Sie sind hier mein Liebling“, verkündet Hedi stets, um mir dann in die Wange zu kneifen, „nur irgendwann muss Ihnen mal jemand den Stock aus’m Arsch ziehen, Chef!“ )
    Natürlich muss ich in solchen Momenten immer an Karen und mich denken. Wir halten es seit sechs Jahren miteinander aus. Seit einem Jahr noch dazu ohne Sex. Ob das allerdings ein Grund ist, stolz auf die Unverwüstlichkeit unserer Beziehung zu sein?
    Nein, ich kann mir ein Leben ohne Karen nicht vorstellen, ich will es auch gar nicht. Ja, ich weiß, dass wir zufrieden miteinander sein können, dass ich mich auf sie verlassen kann, wenn es darauf ankommt. Wir lieben uns manchmal und mögen uns immer. Aber wenn wir am Wochenende von einem Fest bei Freunden aufbrechen, greifen wir nicht nach der Hand des anderen. Karen hängt ihren eigenen Gedanken nach, die hoffentlich nicht – wie bei mir – um die Arbeit kreisen.
    Neben den Angestaubten gibt es in meinem Team auch die Durchläufer. Sie sind halb so alt wie ihre Kolleginnen und der Überzeugung, dass Rothloff International vor allem existiert, um ihr Gehalt zu bezahlen. Auf die Idee, dass eine nennenswerte Gegenleistung dafür ein faires Angebot wäre, kommen die Durchläufer eher selten; wenn man jenseits der Dienstzeiten ein aufregendes Leben führt, muss der Arbeitgeber es doch wirklich verstehen, wenn man sich im Büro nicht überanstrengen möchte, oder? Im Gegensatz zu den Angestaubten ist die Verweildauer der Durchläufer in meiner Abteilung eher kurz; nach spätestens zwei Jahren landen ihre Kündigungen auf meinem Tisch. „Ich hab einen tollen neuen Job gefunden, der mich wirklich fordert“, wird mir dann meist von oben herab mitgeteilt, was mich
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