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Kinder

Kinder

Titel: Kinder
Autoren: Jürgen Seibold
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eine
junge Dame, auch der zwölfjährige Michael mochte nicht mehr als Kind gelten.
Und der ein Jahr jüngere Lukas wollte in einem Augenblick ganz groß sein und
dann wieder ganz klein – seine Eltern mussten sich gelegentlich ein Grinsen
verkneifen, wenn ihr Jüngster wieder einmal zwischen einem Kinobesuch ohne
Erwachsenenbegleitung und dem Kinderkanal hin und her schwankte.
    Mensch, noch ein paar Jahre, dann sind die drei aus dem Haus, dachte
Rainer Pietsch, und er war sich mit jedem Jahr weniger sicher, wie gut ihm das
gefallen würde.
    Lächelnd lehnte er sich zurück, wickelte ein Bonbon aus und sah noch
ein paar Minuten zur Schule hinüber. Dann startete er den Motor, fädelte sich
wieder in den Verkehr ein, der nun immer dichter wurde, und fuhr langsam auf
die Schule zu.
    Sarah stand inmitten eines Pulks von Mädchen unter der großen Ulme,
Michael hatte sich zu zwei Jungs am Treppenaufgang gestellt. Lukas stand mit
einigen Klassenkameraden am Rand des Schulhofs. Als er seinen Vater
vorbeifahren sah, hob er die Hand in Hüfthöhe und winkte ihm möglichst
unauffällig zu.
    Rainer Pietsch nickte lächelnd und ließ kurz seinen Blick über den
Schulhof schweifen. Es wimmelte überall von Schülern, die schwatzend, lachend
oder auch einfach nur müde herumstanden, die sich an Mauern lehnten, sich
gegenseitig übermütig schubsten oder verstohlen zu anderen Gruppen
hinübersahen.
    Etwas abseits standen zwei auffällige Gestalten: ein Mann und eine
Frau, beide groß, hager und trotz des angenehmen Spätsommermorgens in
altmodisch wirkende, graue und fast bodenlange Mäntel gehüllt. Rektor Wehling
ging auf die beiden zu und begrüßte sie, doch auch während des Gesprächs
fixierten sie immer wieder einzelne Schülergruppen.
    Wenn diese schrägen Figuren neue Lehrer sind, werden wir noch viel
Spannendes zu hören bekommen, ging es Rainer Pietsch durch den Kopf, und er bog
grinsend in die nächste Querstraße ein.
    Ein kalter Blick vom Schulhof aus verfolgte ihn, bis er mit dem Van
außer Sichtweite war.
    »Und, wie war’s?«
    Rainer Pietsch gönnte sich noch einen Nachschlag und sah
erwartungsvoll in die Runde. Zum Ende seines freien Tages hatte sich die ganze
Familie wieder am Esstisch versammelt. Um eine große Schüssel Spaghetti und
einen dampfenden Topf Hackfleischsoße herum sah er müde Gesichter.
    »War okay«, brachte Michael zwischen zwei Bissen hervor. Sarah
zuckte mit den Schultern und aß ungerührt weiter.
    »Und du, Lukas? Hast du auch so viel zu erzählen wie die beiden?«
    »Ich sitze neben Kevin«, sagte er und sah nicht sehr begeistert aus.
    Mit Kevin Werkmann hatte er sich im Vorjahr immer wieder gekabbelt,
und die beiden waren das ganze fünfte Schuljahr über nicht richtig warm
miteinander geworden.
    »Das ist Pech«, nickte Annette Pietsch, die den Ärger mit Kevin noch
gut in Erinnerung hatte. Kevin galt mit Übergewicht, Brille und einem Hang zum
Stottern in seiner Klasse nicht gerade als besonders cool – und entsprechend
ruppig wurde er, wenn er jemanden fand, dem er sich überlegen fühlte. Im
vergangenen Jahr hatte es immer wieder den schmächtigen und etwas schüchternen
Lukas getroffen.
    »Halb so schlimm«, brummte Lukas schließlich. »Wir werden uns schon
aneinander gewöhnen, heute ging’s eigentlich ganz gut. Und Frau Moeller meinte
auch, dass wir die Sitzordnung nach den Herbstferien noch ein bisschen
verändern können.«
    »Frau Moeller?«
    »Ja, unsere Klassenlehrerin. Die ist neu an der Schule und hat
unsere Klasse übernommen.«
    Die bisherige Klassenlehrerin war ein paar Wochen vor den
Sommerferien in Mutterschutz gegangen.
    »Und wie ist sie so, diese Frau Moeller?«
    »Na, geht so. Streng, etwas pingelig.«
    »Vielleicht wird’s ja etwas ruhiger in eurer Klasse.«
    »Kann gut sein. Und einen Spitznamen hat sie auch schon.«
    »Das ging aber fix. Welchen denn?«
    »Vogelscheuche.«
    »Ach«, lachte Rainer Pietsch. »Ich glaube, die habe ich heute früh schon
gesehen.«
    Alle am Tisch sahen ihn mit großen Augen an.
    »Na ja, wenn sie Vogelscheuche genannt wird … Groß? Hager?
Altmodischer Mantel? Irgendwie schräg?«
    Lukas nickte jedesmal und grinste immer breiter.
    »Die stand mit einem Mann, der ihr ziemlich ähnlich sah, auf dem
Schulhof und wurde von eurem Rektor begrüßt.«
    »Und ihr Mann ist jetzt unser Klassenlehrer«, schaltete sich Sarah
ein. »Den habe ich in Mathe und Geschichte. Ein gruseliger Typ, irgendwie.«
    »Gruselig?«, fragte ihre
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