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Kalte Wut

Kalte Wut

Titel: Kalte Wut
Autoren: Colin Forbes
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Vorspiel
    »Sie ist tot. Sie ist um 17.12 Uhr gestorben. Aber ich finde die Leute, die sie ermordet haben«, sagte Philip Cardon.
    Die Atmosphäre auf dem Korridor des Nuffield Hospitals war unerträglich. Tweed und Paula waren gerade eingetroffen. Zu spät. Philip Cardons Frau Jean war ein paar Minuten zuvor gestorben.
    Es war der ruhige, leblose Ton, in dem Philip sprach, der Paula Angst einjagte. Er stand sehr still und sehr aufrecht da. Außer ihnen war niemand auf dem Korridor. Eine Schwester war aufgetaucht und dann schnell wieder verschwunden. Cardon sprach weiter, in demselben unerbittlichen Ton, und seine blaugrauen Augen waren kalt.
    »Sie hatten sie an eine Maschine angeschlossen, die die Pulsfrequenz registriert. Die Pulsfrequenz beträgt normalerweise neunzig Schläge pro Minute. Ich habe den Bildschirm der Maschine beobachtet. Sie schlief friedlich – sie hatten ihr gegen die Schmerzen Diamorphin injiziert. Anfangs betrug die Frequenz neunzig, dann achtzig, dann stieg sie wieder auf neunzig.
    Plötzlich fiel sie auf vierzig. Die Schwester warf mir einen Blick zu. Ich habe es aus dem Augenwinkel heraus gesehen. Um 17.12 war der Bildschirm leer. Kein Puls mehr. Ich konnte es nicht glauben.«
    »Philip …«, setzte Paula an.
    Tweed brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.
    Hinter dem leeren Ausdruck in Cardons Augen entdeckte er eine fürchterliche Wut. Er versuchte, sich ein paar Worte einfallen zu lassen, die er sagen könnte, aber sie blieben ihm im Halse stecken.
    Worte konnten Cardon jetzt nicht trösten. Er hatte seine Frau geliebt; sie hatte ihn geliebt. Es war die perfekte Partnerschaft gewesen, etwas, das es sehr selten gab. Cardon sprach weiter, nach wie vor in diesem furchtbar monotonen Tonfall.
    »Sie brachten mich in ein anderes Zimmer. Ich wußte, warum.
    Sie vergeuden keine Zeit. Sie hatten den Bestattungsunternehmer angerufen. Er kam schnell. Ich hörte, wie der Fahrstuhl heraufkam und anhielt. Sie schafften sie auf einer fahrbaren Trage fort. Für immer. Ich werde sie nie wiedersehen. Ich fahre jetzt nach Hause in unsere Wohnung. Niemand wird sie noch einmal zu Gesicht bekommen. Sie wird verbrannt werden, wie sie es wollte. Zu Staub und Asche verbrannt. – Ich fahre jetzt nach London«, wiederholte er.
    »Sie sollten nicht fahren«, protestierte Paula. »Nicht in diesem Zustand …«
    Wieder brachte Tweed sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Cardon, mittelgroß und von mittlerem Körperbau, mit einem rötlichen, glattrasierten Gesicht, öffnete die Hand. Paula mußte gegen Tränen ankämpfen, als sie sah, was sie enthielt.
    Jeans Verlobungsring, ihren Ehering.
    »Das ist alles, was mir von ihr geblieben ist«, bemerkte Cardon.
    »Tut mir leid, daß Sie umsonst gekommen sind.«
    »Oh, um Gottes willen …«, setzte Paula an.
    Tweed ergriff ihren Arm und brachte sie zum drittenmal zum Schweigen. Er beobachtete noch immer Cardon, der ihnen zunickte und sich dann auf den Weg zum Ausgang machte. Er bewegte sich wie von einem Autopiloten gesteuert. Tweed schürzte die Lippen. Zum erstenmal in seinem Leben kam er sich völlig hilflos vor. Paula drehte sich um und sah Cardon nach, der sich mit langsamen, entschlossenen Schritten entfernte. Seine Gefühllosigkeit war sogar noch herzzerreißender, als wenn er zusammengebrochen wäre.
    »Wir hätten etwas sagen müssen«, brauste sie in ihrem Kummer auf.
    »Und hätten dabei riskiert, das Falsche zu sagen«, erklärte Tweed ihr. »Das tun viele Leute in Situationen wie dieser. Sie wissen nicht, was sie sagen sollen, also platzen sie mit irgend etwas Absurdem heraus.«
    Er folgte Paula, die an eines der Fenster mit Blick auf den Parkplatz getreten war. Sie schauten schweigend zu, wie Cardon unten auftauchte und den Mercedes 280 E aufschloß, den Bob Newman ihm geliehen hatte. Sie beobachteten, wie Cardon sich hinter das Lenkrad setzte, die Tür zumachte, ganz still dasaß und sich dann eine Zigarette anzündete.
    »Beide«, erinnerte sich Paula, »hatten es seit einem Jahr geschafft, ihren Zigarettenkonsum auf vier pro Tag zu reduzieren.
    Jean ist das sehr schwergefallen, das hat sie mir erzählt, aber sie hat es trotzdem geschafft. Sie hatte einen sehr starken Charakter und einen bemerkenswerten Verstand. Ich meine, jemand sollte diese merkwürdige Firma informieren, für sie die gearbeitet hat.«
    »Zu gegebener Zeit«, erwiderte Tweed. »Um die Einzelheiten werden wir uns kümmern müssen.«
    »Ich glaube, er fährt jetzt los.
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