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Tod in Blau

Tod in Blau

Titel: Tod in Blau
Autoren: Susanne Goga
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    1
    September 1922
    »Zwei Anzüge, vier
     Hemden, mehrere Kragen, drei Krawatten, dazu Wäsche, Socken und ein
     Sommermantel.« Kriminalkommissar Leo Wechsler durchsuchte die
     Taschen von Mantel und Jacketts. »Zwei saubere Taschentücher,
     ein Zelluloidkamm, eine Dose Hustenpastillen. Das ist alles. Wie sieht es
     bei dir aus?«
    Sein Kollege Kriminalsekretär
     Robert Walther reagierte nicht sofort. Er kniete vor dem Bücherregal
     und zog ein schmales Heft heraus. Dann drehte er sich um. »Schau dir
     bloß dieses Zeug an.« Er blätterte in einer Broschüre
     und hielt sie Wechsler hin. »Hast du so was schon mal gesehen?«
    Leo nahm das Heft, das aus
     billigem Papier mit Fadenheftung bestand. Auf dem Umschlag reichte eine
     blonde, blauäugige Frau mit langen Zöpfen einem Mann mit
     Wikingerhelm ein blitzendes Schwert. An der Hand führte sie ein
     kleines Mädchen, das ebenso blond und blauäugig wie seine Eltern
     war. Aus dem Himmel über ihnen schleuderte eine mächtige Faust
     Blitze nieder. Der Weg zur Reinheit von Dr. Franz Kesselmann, Untertitel:
     Eine Einführung in die ariogermanische Lebensphilosophie.
    Als Nächstes zog Walther
     ein gebundenes Buch hervor. »Oder das hier: Was uns die Götter
     sagen wollen - germanische Mythen neu gedeutet.« Walther schüttelte
     den Kopf. »Wer liest nur solch abstrusen Kram?«
    Leo ging in die Hocke und zog
     einen Stapel Zeitungen unter einem Regal hervor. »Derselbe, der die
     hier gelesen hat.«
    Walther warf einen Blick auf
     die Titelseite. » Völkischer Beobachter? Nie gehört.«
    Leo deutete auf die Zeile
     darunter. »Nennt sich auch Kampfblatt der nationalsozialistischen
     Bewegung Deutschlands und wird von irgendeinem rechten Verein aus Bayern
     herausgegeben. Ich glaube, er heißt NSDAP oder so ähnlich.«
    »Wer soll bei diesen
     ganzen Parteien noch den Überblick behalten? Lauter Abkürzungen,
     die kann sich doch kein Mensch merken.«
    Leo stand achselzuckend auf.
     »Mir scheint, der junge Mann hegte ziemlich eindeutige politische
     Vorlieben. Fragt sich nur, ob er deswegen im Landwehrkanal gelandet ist.
     Wir nehmen die Zeitungen mit, ebenso diese Germanenbücher. Gut möglich,
     dass er Mitglied in einer Vereinigung oder Partei war, in der so etwas
     gelesen wird. Viele sind Spinner, aber es gibt auch gefährliche Leute
     unter ihnen, ehemalige Offiziere und Freikorpskämpfer. Mal sehen, ob
     wir damit weiterkommen. Ach ja, da wäre noch der Schreibtisch.«
    Vermutlich ein Erbstück,
     dachte Leo, denn der Tote, ein gewisser Carl Bremer, war Verkäufer in
     einer Konfektionshandlung gewesen und hätte sich von seinem schmalen
     Gehalt wohl kaum einen so schönen antiken Schreibtisch leisten können.
     Auf der Platte lag eine lederne Schreibunterlage, die Beine waren
     aufwendig gedrechselt, die Schubladen mit Zierbeschlägen versehen.
    Die Leiche des jungen Mannes
     war vor vier Tagen im Landwehrkanal gefunden worden. Als Todesursache
     wurde zwar Ertrinken festgestellt, doch ließ der rechtsmedizinische
     Befund, der eine Kopfwunde erwähnte, die Ermittler aufhorchen.
     Entweder hatte sich der Mann beim Sprung in den Kanal am Kopf verletzt
     oder aber er war überfallen und niedergeschlagen worden. Da man ihn
     zunächst nicht identifizieren konnte, hatte man den Toten wie üblich
     im Leichenschauhaus in der Hannoverschen Straße ausgestellt.
    Zwei Tage später hatte
     sich die Dienststelle A 3, die für die Ermittlung in Fällen
     vermisster Personen und unbekannter Toter zuständig war, bei Leo
     gemeldet. Ein gewisser Emil Hancke, Besitzer eines alteingesessenen
     Konfektionsgeschäfts in Westend, habe eine Vermisstenanzeige
     erstattet, da ein Angestellter seit mehreren Tagen unentschuldigt der
     Arbeit ferngeblieben und auch nicht zu Hause anzutreffen sei. Man hatte
     ihn ins Leichenschauhaus bestellt, wo er den Toten tatsächlich als
     seinen Verkäufer Carl Bremer identifizierte.
    Leo setzte sich auf den
     Schreibtischstuhl und öffnete nacheinander die Schubladen. Er fand
     Schreibzeug, Werbeprospekte für Haarwuchsmittel und neuartige
     Hemdkragen, die haltbar und hautfreundlich zugleich sein sollten, dazu
     Briefmarken und eine Dose mit billigen Manschettenknöpfen, die
     vorgaben, aus Perlmutt, Onyx und Gold zu sein. Gewiss war es nicht einfach
     für Bremer gewesen, in einem Konfektionsgeschäft elegante
     Herrenmode zu verkaufen und sich dabei angemessen zu kleiden. In der
     untersten Schublade entdeckte Leo eine
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