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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen
Autoren: Simone Keil
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Magie sind Kontrahenten, pflegte Professor Ruben zu sagen. Wenn er gewusst hätte, wie lächerlich diese Aussage ist.
    Es ist 2.30 Uhr. Ich bin müde und fasele wirres Zeug. Das ist die dritte schlaflose Nacht. Ein Wunder, dass überhaupt einer von uns schlafen konnte, während diese Kinder durch die Hölle gingen. Durch eine synthetische Hölle, die wir für sie geschaffen hatten. Wir sind Wissenschaftsmonster, keine Ärzte. Wir sind die wahren Albe, auch wenn uns keine Flügel wachsen und unsere Augen nicht im Dämmerlicht glühen.
    Sein Puls wird schwächer, kaum noch messbar. Ich halte seine Hand, um ihn nicht zu verlieren, denn sehen kann ich nur noch eine Wölbung unter der Decke. Auf welche Weise es auch enden wird, es endet. Schon bald.
    3.45 Uhr. Ich bin froh, dass sein Herz aufgehört hat zu schlagen. Endlich. Wenn die Sonne aufgeht, werde ich um ihn weinen. Aber jetzt muss ich es zu Ende bringen. Und ich kann nur hoffen, dass das wirklich das Ende ist. Hoffnung. Merkwürdig, dass ich ausgerechnet jetzt Hoffnung finde.
    Er sieht glücklich aus. Zum ersten Mal. Seine Gesichtszüge haben die Härte verloren. Seine Augen sind braun, seine Haut schimmert wie die eines Neugeborenen.
    Wir hätten das nicht tun dürfen. Es war falsch und ich wusste es. Wir alle wussten es. Aber keiner hat Zweifel angebracht, nicht einer von uns hat unser Handeln in Frage gestellt. Als die ersten Probanden starben, hätten wir es noch stoppen können. Wir hätten es stoppen müssen, es wäre unsere verdammte Pflicht gewesen. Aber wir haben weitergemacht und weiter, bis es nicht mehr zu stoppen war. Ironie des Schicksals. So sagt man doch. Das Schicksal ist ein Arschloch. Oder es ist schlauer als wir alle zusammen.
    Wir haben den Samen in verdorbene Erde gesät und was daraus entwachsen ist, ist die Frucht unserer Überheblichkeit. Das Projekt war also ein voller Erfolg. Wir haben recht behalten, alles ist eingetroffen wie erwartet. Und doch ganz anders.
    Das ist mein letzter Eintrag. Wenn ich seinen Körper verbrannt habe, wie all die anderen vor ihm, werde ich meine Aufzeichnungen vernichten und den Generator vom Netz nehmen. Meine Hände kann ich nicht reinwaschen, zu viel Blut klebt an ihnen, ich kann nur beenden, was niemals hätte begonnen werden dürfen.

 
     
    People stared at the makeup on his face
    Laughed at his long black hair, his animal grace
    The boy in the bright blue jeans
    Jumped up on the stage
    And lady stardust sang his songs
    Of darkness and disgrace
     
    (David Bowie: Lady Stardust)

Erin
    Sie haben es nicht verstanden. Keiner von ihnen. Und manchmal wünschte ich, ich verstünde es ebenfalls nicht.
    Erzähl keine Märchen, sagt die Frau, die mir den Toast mit Butter bestreicht. Ich könnte ihr die Energie entziehen, sie verdorren lassen wie Fallobst. Ich würde zusehen, wie sie weniger wird, wie sich ihre Partikel in den Fugen des Fliesenbodens verteilen.
    Ich erzähle Keinmärchen, sage ich aber nur, und auch das versteht sie nicht. Sie lächelt die Butterdose an und spült das Messer unter laufendem Wasser ab. Das Plätschern dröhnt in meinen Ohren. Die Tropfen reiben sich aneinander und tauschen Informationen aus.
    Erin? Sie sagt den Namen schon zum zweiten Mal, aber ich habe nicht zugehört. Ich dachte, das hätten wir geklärt, sagt sie, und deutet auf die Augenbinde.
    Das verstehst du nicht, sage ich und sie atmet tief ein und bläst die Luft langsam und kontrolliert aus. Bewusstes Atmen. Das hat sie in einer der Sitzungen gelernt. Bewusstes Atmen zur Selbstberuhigung. Sie sollte lernen, bewusst zu sehen, aber dann würde ihr das Schnaufen im Hals stecken bleiben. Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen und der Gnom lacht auch, als er ihr den Finger ins Ohr steckt. Verdammt! Vielleicht sollte ich diese Atemscheiße auch mal versuchen, dann würde mir so was nicht immer wieder passieren.
    Sie zupft an ihrem Ohrläppchen und er rutscht ab, schaukelt einen Moment an ihrem Ärmel, holt Schwung und springt auf die Arbeitsplatte. Er hinterlässt Fußabdrücke in der Butter und leckt seine Zehen ab, verschwindet mit einem Stück Toastbrot im Abfluss.
    Ich räume mein Geschirr in die Spülmaschine. Die Sonne wirft Lichtstraßen durchs Fenster. Es wird Zeit für mich.
    Wo gehst du hin?, fragt sie mit diesem Zittern in der Stimme. Sie hat die Arme um ihren Oberkörper geschlungen, als wolle sie sich selbst wärmen. In ihren Augenwinkeln blitzen kleine Diamanten auf. Ich darf nicht vergessen sie später
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