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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen
Autoren: Simone Keil
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einzusammeln, heute wird sie sicher ein kleines Vermögen zusammenheulen.
    In den Keller, sage ich, das weißt du doch. Ich wippe ungeduldig auf den Fersen.
    Sie sieht aus dem Fenster. Willst du nicht mal wieder in den Garten gehen? Der Tag wird schön, die Wolken haben sich verzogen.
    Schön. Ich kann mich nicht erinnern, wann ein Tag schön war. Die Nächte könnten schön sein, wenn die Schatten nicht wären. Aber sie sind.
     
    #
     
    Du kommst spät, sagt er. Was hat dich aufgehalten?
    Ich bleibe auf der untersten Stufe stehen und versuche ihn zu orten, doch seine Stimme scheint überall zu sein. Spät?, frage ich. Seit wann beziehst du die Zeit in deine Überlegungen ein? Du weißt, dass einmal blinzeln ausreichte und ich käme abends, was genauso wenig bedeutete wie mittags oder jetzt, in diesem Augenblick.
    Ein Rascheln aus dem Regal an der hinteren Wand. Du trägst die Augenbinde, sagt er. Immer noch.
    Vielleicht trage ich sie nur, weil sie es mir verbieten wollen?
    Du lügst schlecht, sagt er und lacht. Du hast schon immer schlecht gelogen. Hast du das Messer mitgebracht?
    Natürlich! Meine Augen gewöhnen sich an die Dämmerung. Ich habe das Kellerfenster mit Brettern vernagelt, aber sie haben ein Notlicht angebracht. Du kannst nicht im Dunkeln da unten sitzen, hat sie gesagt, und es ist mir egal, was für Erklärungen du vorbringst. Ohne Licht sitzt du nicht im Keller!
    Manchmal bin ich froh über den fahlen Lichtschimmer, aber nur, bis die Schatten anfangen sich zu bewegen, dann hänge ich den Jutesack über die Lampe und alles ist still. Und das mache ich auch jetzt, bevor ich meine Arbeit fortsetze.
    Warum Albe?, fragt er. Immer wieder Albe.
    Ich lege das Messer neben mich auf den Boden, taste die Konturen mit den Fingerspitzen ab. Weil sie die einzige Konstante sind, sage ich, und dabei jedes Mal anders. Schlimmer will ich eigentlich sagen, jedes Mal schlimmer. Aber dann würde er lachen. Er hat die Schatten nicht gesehen. Nicht so wie ich. Ich steche mir einen Splitter in den Daumen und lecke das Blut ab, glätte die Kanten vorsichtig mit der scharfen Klinge.
    Der wird gut, sagt er, und die leeren Dosen in dem Karton unter dem Regal klappern. Gute Arbeit.
    Ja, ich werde besser. Aber warum interessiert dich das?, frage ich. Du spinnst sie ein und vergisst sie.
    Nein, sagt er, ich vergesse nichts. Niemals. Seine Stimme ist jetzt ganz nah. Zu nah. Mich fröstelt.
    Nimmst du mich heute mit?, frage ich.
    Wohin?, fragt er und ich höre die Unruhe unter dem Wort brodeln wie kleine Geysire und sein Atem ist heißer Dampf.
    Weg, sage ich. Weg von hier.
    Die Kellertür quietscht und ich reibe mir die Augen. Kommst du zum Essen?, fragt sie. Bitte, komm nach oben. Dein Vater ist gleich zu Hause.
    Dein Vater. Wer soll das sein? Hast du die Rollläden heruntergelassen?, frage ich und sie atmet. Laut und tief. Wie lange willst du das denn noch – Das Ende des Satzes bleibt über der Treppe hängen, als sie die Tür schließt. Ein wenig zu fest, ein wenig zu unkontrolliert. Jetzt wird sie wieder heulen. Nicht wegen mir. Sie hasst es, die Kontrolle zu verlieren. Später werden sie streiten. Zu laut, zu unkontrolliert. Und dann wird sie ihn hassen. Das ist einfacher.
    Stell den Alb ins Regal, sagt er. Unterstes Fach.
    Er ist noch nicht fertig, sage ich. Ich will ihn noch nicht hergeben. Er ist wirklich gut geworden.
    Du kannst einen neuen machen, sagt er. Einen besseren.
    Ja, das kann ich. Ich muss gehen, sage ich, und überprüfe den Sitz der Augenbinde.
    Kommst du wieder?, fragt er. Morgen?
    Morgen? Gestern, sage ich. Ich stecke den Alb in meine Hosentasche; ziehe die Finger durch meine verklebten Haare. Mach das nicht, sage ich. Mach das nicht noch mal. Du bekommst ihn bald.
    Er knurrt. Nicht wirklich; ich glaube nicht, dass er knurren kann. Aber er ist ärgerlich, sein Zorn klebt an der Wand, an der ich eben noch gesessen habe. Irgendwann wird er mich einspinnen wie die Albe, auf die er so gierig wartet.
    Was tust du eigentlich mit ihnen?, frage ich, aber er schweigt.
     
    #
    Der Mann, den sie als meinen Vater bezeichnet, stellt seine Aktentasche ab. Na, sagt er, ohne mich anzusehen, und geht in die Küche. Der Fußboden wimmelt von Gnomen. Sie tragen Brotscheiben, Wurstenden und kleine Butterstückchen vom Kühlschrank zur Spüle und werfen ihre Beute in den Abfluss. Sie wird mich beschuldigen und ich werde es hinnehmen. Ihre Vorhaltungen, ihren Blick, der mich streift, aber mir nie direkt in die Augen
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